Suchergebnisse, Runen und die Nachbarschaft im Web

Was Statpress mir über die Suchergebnisse sagt, ...
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Ja, eigentlich will ich ja gar nicht so viel über den ganzen SEO-Kram schreiben. Und ich hatte eigentlich auch mal vor, hier nicht so viel über Spirituelles zu schreiben. Tja, scheint kaum machbar, ich kann das doch nicht so aus meinem Leben diesem Blog ausklammern. (Bin ich etwa eine Esotante? Ich hoffe nicht. Auch wenn ich manchmal mit Bäumen rede.)

Was ist los? Die Suchen, unter denen ryuu.de gefunden wird, amüsieren mich auf den ersten Blick. Die Google-Bildersuche nach „runenkreis“ spült mir hier anscheinend ganz schön Besucher rein – siehe Screenshot. Auf den zweiten denke ich mir: Au weia, in welche Nachbarschaft bin ich dadurch geraten, daß ich ganz naiv ein Stickprojekt gebloggt habe?

Keine so gute, habe ich den Eindruck. Einige harmlose bis kommerzielle Esoseiten, aber auch zwielichtige Versandhändler, deren Namen schon sozialdarwinistische Phantasien zu bedienen scheinen oder die ganz unschuldig zwischen Runensteinen und keltisch aussehendem Schmuck ariosophische Literatur anbieten.

Den Runen, überhaupt dem Germanischen, haftet leider in Deutschland ein ganz unangenehmer Geruch an. Ein Geruch, der mit den historisch gewesenen Germanen so gar nix zu tun hat. Das Germanenbild der meisten Rechten ist in den meisten Teilen nichts weiter als rückwärtsprojizierter nationalistischer Krampf und hat mit den tatsächlich gewesenen Kimbern, Alamannen, Franken, Goten, Jüten, Vandalen, Langobarden, Gepiden, Angeln, Sachsen und Wikingern nicht das Geringste zu tun. Zudem hat der braune Scheiß, der das Thema umgibt, lange dafür gesorgt, daß ich einen Bogen darum gemacht habe. Ich verdanke es einigen unerschrockenen Leuten, die in den Neunzigern angefangen haben, das Germanische aus den Klauen der alten und neuen Nazis (und auch derer, die ganz naiv sagen: „Wir sind nicht rechts“, aber mit rechten Zeitgenossen fröhlich gemeinsame Sache machen, weil „wir ja alle Heiden sind“) zu befreien, daß ich mich heute da rantraue, mir die Eddas, Sagaliteratur, archäologische und historische Bücher durchlese. Die grundlegende Mediävistik aus dem Studium tut mir dabei nicht schlecht. Und diesen Sommer hab ich mich eben diesen Leuten angeschlossen, um an einem Heidentum mitzuarbeiten, das ohne Blut-und-Boden-Phantasien, ohne ein reaktionäres Natur- und Menschenbild, ohne zwanghaftes Stieren aufs große A, ohne Reenactment 1 mit spirituellem Tun zu verwechseln, ohne Nationalismus und Dogmen wunderbar funktioniert, und auch ohne die zwanghafte Berufung auf eine angebliche ununterbrochene Tradition, die m.E. nur als Wunschdenken existiert.

Ohnehin halte ich diesen Versuch, eine Religion als „uns Europäern gemäßes“ zu konstruieren, für inhärent rassistisch: wenn der vietnamesisch-stämmige Nachhilfeschüler einer Bekannten beschlösse, daß er sich mit den nordischen Göttern befreunden will, stünde ihm das dann weniger zu? Was ist mit einer anderen Freundin von mir, deren Vater Jamaikaner ist? Gerechtfertigt finde ich lediglich, daß einige Native Americans und auch australische Aborigines sich gegen eine Art esoterischen Kolonialismus wehren – und da eben manchmal auch fragen: „Wenn ihr so scharf auf Traditionen seid, warum bedient ihr euch nicht bei euren eigenen?“. Nur für mich fängt’s mit der Sehnsucht nach einer heilen Traditionswelt schon an. Die Sehnsucht nach dem ursprünglichen, unberührten, das so vor aller Kultur gewesen sein soll, finde ich nämlich höchst problematisch: aus der erwachsen dann gerne mal Haltungen, die welches reaktionäre Bedürfnis auch immer mit „Natur!!!“ begründen und damit der Diskussion zu entziehen versuchen.

Nicht falsch verstehen: ich kenne auch eine Schamanin, die ich als lebendes Gegenbild zum manchmal zitierten „Plastikschamanen“ ansehen würde. Und ein Wochenende in den Bergen, Wind, Wetter, Sonne und Dreck ausgesetzt, hat eine sehr positive Wirkung auf meinen Geisteszustand.

Der Versuch, zu beschreiben, was meine Spiritualität denn nun eigentlich ist, treibt mich in Erklärungsnöte. Fakt ist: die nordische Mythologie ist ein Teil eines ganz individuell zusammengewachsenen Cocktails, der sich eher ausnimmt wie ein sehr verwilderter Permakulturgarten. Aber es ist eine nordische Mythologie, die ich in gar keiner Weise eins zu eins wörtlich nehme, wo ich im Auge behalte, in welcher Gesellschaft die entstanden sind, wo ich nach Kräften versuche, zu unterscheiden: was ist historisch/durch Literatur gestützt, und was ist moderne Erfindung (nicht, daß die moderne Erfindung immer schlecht ist), und was etwa vom Core-Schamanismus Harner’scher Prägung „geborgt“ ist, und wo ich mir auch zur Angewohnheit mache, kritisch mit meiner Lektüre umzugehen, etwa Fragen zum Hintergrund eines Autoren zu stellen.

Noch was. Ihr könnt das Runenkreis-Bild gern klauen mitnehmen (es steht unter CC-by-nc-sa), aber bei öffentlicher Verwendung wär’s echt nett, wenn Ihr mich, wie es die CC-Lizenz vorsieht, als Urheberin nennt. Oder noch besser: Macht Euch selber einen. In meinem ipernity fliegt irgendwo die Vorlage herum. Wenn ich jedoch sehe, daß mein Entwurf für rechten Scheiß verwendet wird, werde ich richtig sauer.

So, jetzt hab ich mich nackich gemacht, bin gespannt auf Eure Gedanken dazu.

  1. nichts gegen Reenactment: ich habe selbst Freude an mittelalterlichen Handarbeitstechniken, aber es gibt diese Art von, ich nenne sie ‚Mittelaltermarktheiden‘,  die sich unheimlich heidnisch fühlen, wenn sie in Gewandung rumstehen, ein Horn Met kippen und vielleicht noch „Odin!!“ brüllen.

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