„Fair Orianna“ und ihre Musiker
Im Chor singen wir gerade Musik der späten englischen Renaissance, aus der Zeit der Königin Elisabeth I. und Shakespeares. Die klingt in etwa so: übrigens eins der kürzesten und am wenigsten komplexen Stücke in unserem Repertoire. Das meiste hat dann eher solche Ausmaße:
Und privat befasse ich mich gerade mit sowas, wenn ich neben meinem Chorrepertoire noch Zeit zum Üben habe:
Dowland ist ja sowas wie eine Jugendliebe, als ich so mit dreizehn, vierzehn (glaub ich) auf der Gitarre viel von dieser Renaissance-Lautenmusik spielte, war ich ziemlich fasziniert davon und Laute ist ein Instrument, das mich auch heute reizen würde. (Gambe auch. Überhaupt: historische Saiteninstrumente, damit kann man mich glücklich machen.) Insofern bewege ich mich teils auf vertrautem Gebiet, harmonisch und melodisch jedenfalls. Als ich mich letztes Jahr das erste mal wieder mit Dowland befaßte, waren die Rhythmik und diese Art von Polyphonie ganz schön vertrackt für mich. Die bewegen sich nämlich überhaupt nicht im gewohnten Taktmuster, das wir so aus der Musik von ca. 1750 bis 1900 kennen, sondern sind, in unseren Begriffen, von manchmal recht langen und komplexen Synkopen durchzogen. Es entsteht dadurch gelegentlich sowas wie ein schwebendes, „offbeatiges“ Gefühl. Taktwechsel zwischen Dreier- und Zweiertakten oder Dreiertakte, deren Aufteilung ständig wechselt, sind auch an der Tagesordnung. (Ein Musterbeispiel dafür ist John Dowlands „Can she excuse my wrongs“).
Gerade bei der Chormusik komme ich in den Proben immer wieder dazu, den einen oder anderen musikalischen Zusammenhang aufzuspüren. Sooooo interessant! Am liebsten möchte ich mich ja hinter meine Kontrapunktbücher klemmen und verstehen lernen, wie diese Musik gemacht ist. Da gibt es Stellen, die sind ein einziger Vorhalt und fallen von einem dissonanten Klang in den nächsten, zwischen solchen, die leicht, spritzig, beweglich daherkommen. Schlüsse ohne geradezu floskelhafte synkopische Vorhaltsklauseln kann ich mir kaum vorstellen bei dieser Musik, und ständig oszilliert sie zwischen Dur und Moll. Immer mehr stelle ich dabei fest, daß ich mich um so leichter in einer Musik bewege, je genauer ich sie verstehe und intuitiv erfasse, was meine – harmonische oder kontrapunktische – Rolle gerade ist, und dabei kommt mir diese Musik sehr entgegen.
„Orianna“ war übrigens ein mythologisierender Name für Königin Elisabeth I. Mit Lob für die Königin geizt diese Musik übrigens auch nicht – politische Hintergründe werde ich noch rausfinden.
Achja, im November treten wir mit diesem Repertoire auf – am 22. und 23.11. Mehr hier. Ich freu mich riesig drauf.
Faszinierende Musik aus einer faszinierenden Epoche (in der ich dennoch ungern gelebt hätte).
Ich find die ganze Musikgeschichte mehr oder weniger spannend (ok, mit einigen Ausnahmen), und leben hätte ich in keiner dieser Zeiten mögen. Ich bin schon froh, im 21. Jahrhundert zu sein.
Und musikalisch noch schräger wird es, wenn die Renaissance so allmählich zerbröselt… Das abgefahrenste Projekt, bei dem ich je mitgesungen habe, war eine szenische Produktion von Gesualdo-Madrigalen mit dem Kammerchor an meinem College. Ich liebe die Polyphonien des Manierismus; teilweise sind die komplett atonal!
Und ich würde Euer Konzert wahnsinnig gern erleben. Schade, daß ich nicht nach Berlin Vielleicht filmt ja jemand mit?
ergänze „kommen kann“ 😉 (Brauch ’n Kaffee…)
Ach, Gesualdo! Ja, der ist schon was besonderes und hat Gänsehautpotential. Von dem würde ich ja auch liebend gerne mal was singen, aber mit den „komplett atonalen“ Dingen könnte canta:re dann doch etwas überfordert sein. Wir haben schon an der Polyphonie eines Thomas Weelkes zu knapsen, oder an den notorischen Renaissance-Synkopen.
Mal sehen, ob da irgendjemand filmt oder ob es einen Konzertmitschnitt gibt.