Unmutige Gedanken zum Weltfrauentag

Heute Nachmittag stieß ich auf diesen taz-Artikel Augenblicklich regte sich mein Unmut: ich bin es satt, daß ich als Buhfrau dastehen muß, weil ich kein „Männer“-Studienfach gewählt habe und unterstelltermaßen darum keine tolle Karriere mache. Ich bin auch das Bashing der Geisteswissenschaften und der sozialen Berufe, die da implizit drinsteckt, so leid, daß ich gar nicht so viel fressen kann, wie ich kotzen möchte.

Ich hätte Sängerin werden wollen. Ich habe mich auf dieses Ziel mit 14 Jahren festgelegt – das ist normal bei klassischen Musikern, ich war damit schon spät dran. Das ist eine unglaublich frühe und intensive Spezialisierung, die man in dieser Berufsgruppe hinlegt und bei Sängern als einer Untergruppe, die sich schon wegen der Physiologie nicht früher festlegen kann1, fällt sie relativ milde aus. Pianisten oder Streicher sind da viel krasser drauf. Ich habe alle Energie da reingesteckt: war notwendig.
Ich habe diesen Traum mit 22 begraben müssen, dank einer fundichristlichen Hauptfach-Professorin, die mein Coming Out nicht verkraftet hat – danach ging jedenfalls unsere Unterrichtsbeziehung derart in die Binsen, daß ich am Ende nur noch ein verunsichertes verhuschtes kleines Etwas war, das sich nichts mehr zutraute und vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, tatsächlich an den simpelsten musikalischen Aufgaben scheiterte. Es war harte Arbeit, mein Sängerin-Sein wieder einzufordern, zu begreifen und wieder in Anspruch zu nehmen, daß dieser strahlende Dreieinhalb-Oktaven-Sopran meiner ist. Daß mein Zugang zu Musik nicht nur, aber auch ein intellektueller ist (während Frau Professor der Ansicht war, Sänger hätten gefälligst alles aus dem Bauch zu machen) und daß das gut so ist, und wie viel Freude ich auch an hochtheoretischen Dingen (ich sage nur: Musiksemiotik!) habe, das begriff ich schon im Musikwissenschaftsstudium.

Im Grunde meines Herzens bin ich Musikerin, Sängerin, mit einem großen Herzen für Saiteninstrumente. Und ich bin, ganz un-gender-nerdig und unüberhörbar weiblich, ein hoher Sopran mit starken Koloraturen.
Meine Studienwahl ist meinen Interessen geschuldet. Und sie war nach meinem Herausfallen aus dem klassischen Musikbetrieb auch ein wenig Verlegenheitslösung. Und ja: Daß ich weiter und gegen alle Widrigkeiten auch zu Ende studiert habe, hing auch mit einem Gefühl zusammen, daß ich diese intellektuelle Forderung brauche. Im Beruf fehlt sie mir heute oft.
Ein „karrieretaugliches“ Fach zu studieren, mich selbst hundert Prozent marktgerecht zuzurichten: das hätte ich nicht ertragen. Den Gedanken ertrage ich auch heute noch nicht. Und zu meinem Glück ist es für mich dazu wohl zu spät.
Ob ich unter den Bedingungen, wie sie sich jetzt an europäischen Universitäten abzeichnen, noch einmal studieren wollen würde: ich weiß nicht. Unter guten Bedingungen würde ich wieder Germanistik studieren, mit der Musikwissenschaft bin ich mir da nicht so 100% sicher. Zu „höhere Töchter“-technisch war mir der Studiengang manchmal, zu wenig Bewußtsein für die Realität nicht privilegierter Schichten – die es sehr real unter den Studierenden gab, was dann eben bedeutet: mensch hat vielleicht keinen DVD-fähigen Computer, kann sich nicht mal einfach so Tonträger und Noten für 200 Tacken zulegen, muß vielleicht arbeiten neben dem Studium, hat kein Tasteninstrument zu hause – war bei den Dozenten da. Zu viel wurde heftigst vorausgesetzt (Musikwissenschaft ist echt nix für Weicheier). Zu viel Bach und Beethoven, zu wenig Offenheit für Modernes und Populäres: Seminare über Musik im Horrorfilm waren da die leuchtende Ausnahme.

Auch wenn ich keine leiblichen Nachkommen plane: Mein Traum vom guten Leben sieht anders aus als auf Teufel komm raus Geld und Macht anhäufen zu wollen. Eher so, wie Bodecea es hier beschreibt.
Die Topkarrriere bedeutet allzu oft: 60 Stunden pro Woche plus. Ich komme aus einer Familie, die ich als nachgerade krankhaft fleißig, ja arbeitssüchtig bezeichnen möchte – und als ich Ende letzten Jahres feststellte, daß ich eben nicht wie meine Großmutter mal stolz auf jahrelang gekloppte 60-Stunden-Wochen sein will, hätte es fast einen ziemlichen Krach gegeben. Nicht, daß ich nicht gern arbeite: aber mein Ziel ist, zu arbeiten, um zu leben, und das möglichst so, daß noch Zeit für Dinge bleibt, für die ich nicht bezahlt werde, Kraft für Freunde. Am besten – und das ist mein erkärtes Ziel – soll auch meine Arbeit für mich Sinn haben, soll sie einschließen, daß ich meine Talente, und ich rede jetzt nicht vom professionellen Säuseln am Telefon, zum Guten einsetzen kann.

Ich habe mich Jahre mit Identitäts- und Nicht-Beziehungs-Krisen herumgeschlagen – für die ich irgendwo in den Tiefen einer sexistischen heteronormativen Gesellschaft die Ursachen wittere. Und die ich ohne das beharrliche Da-Sein meiner besten Freundin nicht überlebt hätte. Jahre, die natürlich auch für „Karriere“ verloren sind. Kämpfe, die ich vielleicht als Mann nicht gehabt hätte, oder anders gehabt hätte: wer weiß, vielleicht hätte ich mein notorisches Misfit-Sein als Kerl auch nicht überlebt; vielleicht wäre ich aber auch souveräner damit umgegangen, da man mir von klein auf weniger Mich-Selbst-In-Frage-Stellen eingetrichtert hätte.

Die ganze Emanzipationsdebatte geht mir nicht weit genug. Das Modell heterosexuelle Kleinfamilie bleibt unangetastet, nur über die Arbeitsteilung wird debattiert. Über Karrieren von Frauen wird geredet, als hätten die sich dem Modell „Männerkarriere“ einfach so anzupassen. Nein, den Differenzfeminismus der 80er („Frauen sind anders und das ist auch gut so, wir müssen nur das abgewertete wieder aufwerten und schon gehts uns gut“) kann ich auch nicht adoptieren – obwohl ich meine, daß wir auch mal einen Blick drauf werfen sollten, wer denn Grundschullehrer_in, Erzieher_in, Altenpfleger_in wird, wer Haushaltsarbeit macht, wer all die schnieken Geschäftsräume putzt und warum diese notwendige Arbeit in unserer Gesellschaft so miserabel anerkannt wird, daß man oft nicht davon leben kann, wenn sie denn überhaupt bezahlt wird.

Aber verdammt nochmal: Hat Emanzipation nicht auch noch mit anderen Themen zu tun als Kinder, Küchenarbeit, Karriere? Mir kommt die öffentliche Debatte da viel zu kurz vor. Und geht’s nur um die Frauen? Oder gehts nicht auch um die, die anscheinend nichts damit zu tun haben, aber die selbstverständliche Hetero-Rollenaufteilung schon durch ihr simples Sein hinterfragen – Homo- und Bisexuelle jeden Geschlechts – und geht’s nicht auch um die, die wegen ihrer vermeintlich so kleinen Zahl gern unter den Teppich gekehrt werden: transgender, Trans- und Intersexuelle?
Ja, ich könnte immer wieder kotzen über diese verkürzte Debatte, die nicht über ihren eigenen hetero- und im Kern androzentristischen Tellerand hinausgucken mag.

Ich bin ein Sopran.
Ich stricke, spinne und tue andere „weibliche“ Dinge: aber ich bin es leid, wenn an jeder Tätigkeit, jeder Eigenschaft ein geschlechtliches Etikett hängt.
Solange für mein Auskommen gut gesorgt ist, interessieren mich Sinn und Erfüllung mehr als materieller Reichtum.
Ich grabe aber auch meine Gitarre wieder aus und träume davon, Laute, Theorbe, Gambe zu lernen.
Ich mag Computer und interessiere mich für die technischen Hintergründe, ohne gleich C++ oder Brainfuck lernen zu müssen.
Und ich vermisse manchmal bitterlich den Dojo – wer weiß, vielleicht habe ich eines Tages die Zeit, Naginata oder Iaido zu lernen oder Ju Jutsu wieder anzufangen.

Es ist Zeit, daß wir aufhören, ständig nur Männer oder Frauen zu sein, und öfter mal einfach Menschen sind. Das geht sicher nicht per Dekret, sondern setzt bewußtes Verlernen von doofen Vorstellungen, wie wir denn nun zu sein hätten, voraus.

Ich geh dann mal eine Runde singen: hilft erfahrungsgemäß gegen meinen Frust an einer Gesellschaft, die nicht sehen mag, wie sie volle Kraft voraus in die ökonomische und ökologische Selbstzerstörung rennt.

  1. ausgewachsenes klassisches Gesangstraining geht frühestens ab dem 16. Lebensjahr

3 thoughts on “Unmutige Gedanken zum Weltfrauentag

  1. Ich gratuliere Dir zu Deinem Mut und Deiner Ehrlichkeit! Ich hätte den Mut, auf meinem Blog so sehr und so ausführlich ins „Eingemachte“ zu gehen, nicht.

    Ein “karrieretaugliches” Fach zu studieren, mich selbst hundert Prozent marktgerecht zuzurichten: das hätte ich nicht ertragen.

    Tja, für mein Studium stand damals nichts anderes „zu Debatte“. Da meine Eltern wirtschaftlich nicht die stärksten waren, und ich der erste in der Familie war, der das Abi „gebaut“ hatte, war es auch für mich selbstverständlich, dass, wenn ich schon studieren würde, das auf keinen Fall „brotlose Kunst“ sein dürfte.
    Da ich aber weder auf Jura noch BWL Bock hatte, sondern eher einen Hang zur Naturwissenschaft hatte (Traumstudium: Meeresbiologie – hatte mich dafür schon eingeschrieben, und dann wieder einen Rückzieher gemacht: keine guten Berufsaussichten), habe ich, als Kompromiss, eben Chemieingenieurwesen studiert – und bin damit gescheitert. (Kein Wunder eigentlich, die Abbrecherquote war da abenteuerlich … )

    Ach, Mist, ich jammere wieder ´rum. Was geschehen ist, ist geschehen … und ein guter Meeresbiologe wäre ich vielleicht auch nicht geworden.

  2. Hallo Martin!
    Ist am Eingeständnis, daß man mit was gescheitert ist, gleich „Jammern“ dran? Ich finde, das darf $mensch ruhig mal sagen.
    Ich bin ja, so gesehen, auch ‚gescheitert‘ mit meinem Weg als klassische Musikerin. Und manchmal bedaure ich das zutiefst.

    Daß ich das Germanistik-Studium fertig gemacht habe, ist angesichts der Rahmenbedingungen wohl auch ein Wunder, aber da hat mir die Sturheit aus der Familie meiner Großmutter mütterlicherseits mal gute Dienste geleistet. Dafür kann ich meinen Ahnen wohl dankbar sein, für diese Sturheit.

  3. Haaammer Text!!! Sehr sehr gut. Hab ihn nur zufällig gelesen, weil ich bei google was gesucht hab..irgendwas mit Musikwissenschaft..und dann „kurz“ hängengeblieben. Mir fallen so schöne Parallelen zu mir auf. Bis auf die Tatsache, dass seit einem Jahr Maschinenbau studiere, weil ich mein Studienplatz für mein Instrument aufgrund meiner empfindlichen Ooohren (also quasi gesundheitsbedingt) abgesagt habe. Was mich an meinem jetzigen Studiengang nur nervt, ist, dass man von Leuten (vor allem von Leuten, mit denen ich wirklich etwas zu tun haben will), die oft irgendetwas geisteswissenschaftliches studieren, allein durch die Tatsache, dass man einen Ingenieursstudiengang gewählt hat, sofort einen nicht zu unterschätzenden negativen Touch zugesprochen bekommt (natürlich von Leuten, die man noch nicht kennt, also beim „kennenlernen“, sonst wäre es ja sehr übel :D). Und zwar vor allem aus deinen genannten Gründen, dass solche Studiengänge ja wie du es so schön und richtig gesagt hast, prädestiniert dafür sind, sich sein Selbst wirtschaftlich zurecht zu schnitzen. Was ich dann aber nicht begreife ist, dass solche Aussagen vor allem von Geisteswissenschaftlern kommen, denen man doch eigentlich soziale Intelligenz und eine eher freie Einstellung zuschreibt. Zwar ticken viele meiner Mitstudenten wirklich „gekünstelt wirtschaftlich“ und viele wissen es auch nicht besser…okey..und viele wissen es eigentlich besser, ticken trotzdem so^^…aber es gibt auch andere, so dass man nie den Fehler machen sollte, sie über einen Kamm zu scheren. Ich interessiere mich z.b. auch seehr, wirklich sehr für Musik, Musikgeschichte, Musikwissenschaft, Psychologie, Theaterwissenschaft, Literatur und Kunst(obwohl ich selber mehr als unbegabt in schreiben und malen bin). Nur habe ich mir jetzt gerade Maschinenbau ausgesucht, weil mich darin auch einige Dinge interessieren UND, was ich gerne zugebe, ich mir auch recht sicher sein kann, dass ich in den Bereichen arbeiten kann. WAS mir aber auf jeden Fall auf den Senkel geht..es sitzen soo viele dumme Leute (ich meine jetzt in sozialer, weltoffener Hinsicht) in solchen Studiengängen, dass ich mir doch nicht selten wünsche, vielleicht doch Musikwissenschaft o.ä. zu machen. Egal, dass wollte ich nur mal nebenbei schreiben…also die Frage war ja oben schon:…wiiieso begegnet man trotzdem vielen Leuten mit unschöner Abneigung…das kannst du mir mal erklären, wenn du mal Lust hast^^. Ich verstehe ja, dass man in kurzen Momenten nicht in den anderen „hineinblicken“ kann, aber man geht schon allzu oft mit der falschen Einstellung an die Sache heran.
    Ich finde auf jeden Fall auch diese Bräuche in der Wirtschaft total scheiße, sich als einen umgänglichen, immer kundenfreundlichen, nicht querstellenden Kurzhaarmenschen darzustellen. Aber ich glaube, dass das oft auch nur Facette ist…so scheint es auf jeden Fall von außen, wenn man dauernd im Stern, Spiegel oder sonst was für Zeitschriften schöne zum Thema passende Artikel liest oder bei Schulklassenausflügen auf irgendwelchen Industriemessen diese gutbürgerlichen geschniegelten Firmenmitarbeiter an den Ständen sieht. Es git diese Leute auf jeden Fall. Auf jeden. Aber ich kenne auch einige Gegenbeispiele von Leuten, die auch ziemlich natürlich ticken. Obwohl ich finde, dass diese muster-Verhaltensweisen in manchen Bereichen fast unumgänglch sind…leider. Also ich würde sagen, was Studium und Beruf angeht..bestimmte Berufe/Studiengänge ziehen bestimmte Leute an (in der Mehrheit, aber auch andere), und können einen eventuell auch verändern, wenn man nicht Acht gibt, oder es nicht möchte. Darauf sollte man vielleicht aufpassen, dann ist alles gut bzw. es sollte alles gut bleiben ;).
    Okey, ich hab einfach mal ein bisschen geschrieben, wie ich gerade gedacht habe…vielleicht ein bisschen wirr und ohne roten Faden, könnte es vielleicht auch lieber wieder löschen, aber jetzt drüüücke ich doch mal auf „submit“ ;).
    Tschautschau und schönen Taag!!!

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