Schwullesbische Veranstaltungen und ich: eine Haßliebe
Heute fiel es mir mal wieder so richtig auf: mit schwullesbischen Veranstaltungen verbindet mich eine ganz große Ambivalenz. Ausgedrückt in diesem Tweet heute:
Ohnehin kann ich mit dem modernen „Gay“ als Lifestyle wenig anfangen. Nein, meine Befreiung besteht nicht in der Gelegenheit zum hemmungslosen anonymen Sex und nicht in auf einen Teil meiner Identität zugeschnittenen Veranstaltungen mit lauter, für mich bestenfalls gerade eben erträglicher Musik und teurem Alkohol, die ich zum Sterben langweilig finde. Sie bestünde darin, auf einem Liverollenspielcon, auf einer Party, auf einem Hacking-Event, auf einem Heidentreffen mit derselben Wahrscheinlichkeit wie ein Hetero die Frau fürs Leben zu treffen. Sie bestünde darin, daß mir niemand mehr mit statistischen Argumenten kommt, warum das nicht geht. Sie bestünde darin, mir keine Gedanken darum machen zu müssen, ob jetzt ein Arbeitgeber rausfindet, daß ich mal eine schwullesbische Party mitorganisiert habe. Sie bestünde darin, daß ich nicht mehr das Gefühl habe, einer entmutigend kleinen Minderheit anzugehören, innerhalb derer ich mich wegen der Summe anderer Merkmale (langhaarige Hochsteckfrisurträgerin, Metalhead, Klassik- und Alte-Musik-Fan, Rollenspielerin, Linuxnerd, Asatrú, … ) wieder total allein, im negativen Sinne nerdig und wie ein Alien fühle, im schlimmsten Fall mit dem Arsch nicht angeguckt oder sogar unfreundlich angegangen werde. (Letzteres ist mir selbst nie passiert, aber Freundinnen, die ländlicher wohnen, wurden durchaus als „Heten“ von dortigen Lesbenparties komplimentiert.)
Ich fühle mich nicht gemeint, wenn ich die Siegessäule oder die L-Mag lese. Ich fühlte mich auf den meisten CSDs, die ich besucht habe, wie ein Alien. Ich habe es immer wieder mit „der Szene“ versucht, mit dem Gedanken: Vielleicht muß ich einfach mal mit geistiger Offenheit da rangehen. Ich habe wirklich guten Willen walten lassen. Vergebens. Das Alien-Gefühl wollte einfach nicht weggehen. Ich ging irgendwann auf Goth-Parties, weil ich da Menschen traf, mit denen ich was anfangen konnte, und vor allem zu Musik tanzen konnte, die ich mochte. Ich fand dort ein Klima, in dem ich mich kulturell und ästhetisch zuhause fühlte. Das Flirten gewöhnte ich mir dort allerdings schnell ab: zu oft geriet ich an Frauen, die unter „bisexuell“ verstanden, daß frau mal für die schönen Stunden – wenn nicht gar: ausschließlich betrunken auf der Tanzfläche – mit einer Geschlechtsgenossin rummacht, den „richtigen Sex“ und die „richtige Beziehung“ aber mit einem Mann hat, der ja auch, so erklärte mir eine von dieser Sorte mal, soviel mehr Sicherheit und Geborgenheit bieten könne. Erfahrungen, die ich nicht noch einmal machen möchte.
Doch das Bedürfnis, mich auch mit anderen queers zusammenzutun, das war eben immer auch da. Mich mal nicht als kleine Minderheit fühlen, nicht die erklärungsbedürftige Ausnahme sein, die die unausgesprochene Annahme, erotische Anziehung fände ausschließlich zwischen Männern und Frauen statt, auf den Kopf stellte, mal nicht dieses Gefühl haben, qua Sexualität zwischen allen Stühlen zu sitzen. Und natürlich gibt es auch Themen, die sind in einer hetero-dominierten Runde einfach kaum zu besprechen. Wie omnipräsent und mächtig diese Annahmen über Geschlecht und Sexualität sind, merkt $mensch eben erst, wenn $mensch auf einer Position steht, die in der Ordnung nicht vorgesehen ist. Es ist immer noch da, dieses Bedürfnis. Aber die schwullesbische Szene, so wie ich sie wahrnehme, kann es für mich nicht befriedigen. Vielleicht liegt es an einer Sache, die Rosa von Praunheim bereits in den Siebzigern feststellte: Schwulsein (und analog: Lesbischsein) ist nicht abendfüllend. Es ist vielleicht ein Teil meiner Identität, vielleicht ein prägender, aber nicht die einzige Farbe in meinem Identitätsmosaik. Und die Ästhetik, die in der Lesbenszene dominiert, geht vollkommen an meiner vorbei, genau wie die Begriffssysteme an dem Vokabular, mit dem ich mich verständlich machen könnte: Inkommensurabel! Es gibt wahrscheinlich etliche Frauen da draußen, die ich vielleicht interessant fände, in der Szene aber nie treffen werde, weil sie sich genau wie ich dort unwohl und unwillkommen fühlen.
Freilich: Mich für das Recht von Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen auf aller Welt einsetzen – keine Frage, tue ich gerne. Mich dafür einsetzen, daß queers Spiritualität nicht als antiemanzipatorisches Unterfangen abschreiben, sondern Möglichkeiten finden, Spiritualität auf eine selbstbestimmte Weise auch jenseits des Christentums (wo es ja sehr engagierte Gruppen gibt) für sich in Anspruch zu nehmen: eine Lebensaufgabe für mich. (Mit einem trotzigen „In your face!“ an alle, die Religion dazu mißbrauchen wollen, das Recht von Schwulen und Lesben auf Liebe und Sex zu leugnen.) Doch das sind Dinge, die ich in der schwullesbischen Szene eher nicht finde.
Sei dem, wie ihm sei: Ich gehe dieses Jahr nur ganz vielleicht auf den alternativen CSD (den mainstreamigen meide ich), der findet nämlich am Wochenende vor einem mir sehr wichtigen (Fest)Tag statt… und statt aufs Stadtfest gehe ich auf den Linuxtag und werde wahrscheinlich da einige bekannte Gesichter von Ubuntu Berlin sehen, nerdigen Spaß haben und viel lernen – statt mich auf der relativ kommerziell-mainstreamingen Veranstaltung namens Motzstraßenfest zu langweilen.
Vielleicht ergibt sich ja auch noch ein heidnisches Fest am CSD-Wochenende. Ich träume gerade von einem wilden, ausufernden, anarchischen Crossover-Ritual mit nennenswertem Queer-Anteil in großer Runde des Nachts unter freiem Himmel. Interesse, anyone?
Das Alien-Gefühl kenne ich – aus eigener Erfahrung, obwohl ich (noch nicht mal!) schwul bin. Ich kenne jemanden (Du kennst ihn auch), der über dieses Lebensgefühl zwischen den Stühlen einige netter Lieder und Gedichtet schreibt. Es gibt anscheinend „Korridore der öffentlichen Akzeptanz“, und wer sich außerhalb dieser Korridore bewegt, ist Außenseiten, Störenfried, Freak. Das hat nicht immer mit „Schubladendenken“ zu tun, etwa in dem Sinne, dass Stricken und Strickbloggen und Computerbasteln (und darüber bloggen) irgendwie nicht zusammen passen würden, und „Strickbloggs“ und „Computertechblogs“ zwei unterschiedliche „Zielgruppen“ wären. (Das seit einigen Jahren kulturell dominante Marketing-Denken fördert solche Kategorisierungen ungemein. Wer in „Zielgruppen“ denkt, wird jemanden wie Dich gar nicht erreichen können: langhaarige Hochsteckfrisurträgerin, Metalhead, Klassik- und Alte-Musik-Fan, Rollenspielerin, Linuxnerd, Asatrú – da passt kein Klischee, keine Schublade und auch kein „Erfahrungswert“. Schwulsein (und analog: Lesbischsein) ist, da hatte Rosa recht, nicht abendfüllend. Hetero sein übrigens auch nicht. Die sexuelle Identität ist eine wichtige, aber doch nur eine von vielen Komponenten einer Persönlichkeit.
Die Heteronormalität des Alltags hat mit Sex und sexueller Orientierung ja auch nur eher am Rande etwas zu tun – aber sehr viel mit Machtausübung, Gewohnheit, Angstabwehr, Bequemlichkeit, (meist uneingestandener)Intoleranz, einer immer noch deutlich patriarchalen Kultur – und sehr viel mit Heuchelei.
Ich wäre dabei…
Tja, nun ist das Berliner CSD-Wochenende nur schon vorbei. Du bist ein bißchen spät dran mit diesem Kommentar…
Na ja, ich war eh gerade nicht in der Nähe… 😉 Vielleicht nächstes Mal.