Warum ich gerne ein Nerd bin

Wenn man sich wie ich immer schon für Dinge interessiert hat, die der Umwelt seltsam erscheinen, und das in einer Intensität, die anderen abwegig erscheint, dann wird man von vielen abqualifiziert. Als Sonderling, als Misfit – und das aber nicht als Abwertung anzunehmen, sondern es zu wenden, die stolze Selbstbezeichnung „Nerd!“ daraus zu machen: das ist ein Gedanke, mit dem ich mich anfreunden kann. Auch, weil ich mich gegen die „Kind, mußt du es dir so schwer machen?“- oder „Schwarz biste, schwul biste, jetzt mußt du auch noch Jude werden“-Anwürfe wehren muß. Ich habe mir nicht ausgesucht, mich für „exzentrische“ Dinge zu interessieren. Ich kann versuchen, mich auf Normalmaß zurechtzustutzen, indem ich mir verbiete, mich mit allzu seltsamen Dingen zu beschäftigen oder wenigstens das Interesse dafür nicht nach außen zeige. Ich könnte versuchen, mich oder wenigstens mein nach außen gezeigtes Bild zu einem vollkommen „normalen“ Menschen ohne „abschreckende“ Eigenschaften, der nirgends aneckt, zu machen – wenn es möglich wäre, wäre das Resultat jedoch farblos und ultimativ langweilig. Bei vielen meiner Leidenschaften ist das Energieverschwendung und obendrein vergeblich. Genauso gut kann ich ohne Scham dem nachgehen, was mich gerade begeistert: das ist wesentlich besser fürs Selbstwertgefühl. Und wer definiert schon, was normal und was exzentrisch ist?
Eigentlich war mein Grundgedanke für diesen Post aber ein ganz anderer, und das Thema das „Nerd-Sein“ im engeren Sinn: Ich will darauf eingehen, warum mich freie Software, Linux und offene Standards begeistern und was mich, die ich ja keine Fachfrau, kein IT-Profi bin, an (Computer)Technologie so reizt. Also, was ist es, was mich immer wieder an die Konsole treibt?
- Selbstbestimmung, die Wahl haben, informierte Entscheidungen treffen können (z.B. welche Hardware kaufe ich, ist die für mich geeignet,…)
- Dinge gestalten können statt nur konsumieren, kreativer Umgang mit Technik. „Man kann mit einem Computer Kunst und Schönheit schaffen“1. Je mehr ich von der Technik verstehe, desto mehr und desto Kreativeres kann ich damit herstellen.
- Privatsphäre und Sicherheit. Es gibt z.B. Leute, mit denen ich verschlüsselt jabbere – da empfinde ich ein ganz anderes Vertrauen in den Kommunikationsweg, als wenn ich ein Protokoll wie IRC verwende.
- Je mehr ich von IT verstehe, desto mehr kann ich selbst erledigen; und ich kann die Arbeit von Fachleuten besser beurteilen. Ich kann mit Fachleuten auch ganz anders kommunizieren und die richtigen Fragen stellen.
- Dinge wirklich so zu gestalten, wie ich sie haben will, indem ich geeignete Lösungen finde, statt mit ungeeignetem Werkzeug zu arbeiten, hat mich schon immer begeistert. Wenn ich z.B. einen Flyer gestalten soll, greife ich zu Scribus, wo ich Dinge 0,001 mm-genau positionieren kann, anstatt zu Word, wo es sogar auf jedem Computer anders aussieht und und ich Dinge auch nur ganz ungefähr positionieren kann.
Warum mag ich Open Source und offene Standards?
- Transparenz. Ich mag es z.B. inzwischen, daß ich an Linux selbst Hand anlegen kann, daß es sich bereitwillig „unter die Haube“ gucken läßt und ich daran auch selbst schrauben kann. Ich kann hingehen und verstehen, wie mein Computer funktioniert – und verstehe im Zweifelsfall, warum er jetzt nicht tut, was ich erwartet habe.
- Jeder kann hingehen und was daran verbessern und weiterentwickeln.
- Jeder kann z.B. einen jabber– oder gobby-Server oder ein etherpad betreiben. Ich bin damit weniger auf zentralisierte Services angewiesen, wo alle Daten und alle Macht über das Programm in einer Hand liegen.
- Sicherheit durch Offenheit, dh. Sicherheitsmängel können rasch aufgedeckt und behoben werden.
- echte Dokumentation durch Communities: zu Linuxrelevantem finde ich etliche Dokumentationen, Tutorials etc. im Netz. Habe ich eine Frage, die sich mit einer halben Stunde Recherche nicht lösen läßt, frage ich in einem entsprechenden Forum, Chat oder auf einer entsprechenden Mailingliste nach und bekomme oft eine Antwort, die mich auf die richtige Spur bringt. Das ist ein Grad an Information, den ich aus der Windowswelt nicht gewohnt bin.
- Freie Programme sind manchmal – nur manchmal – fehlerbehafteter als kommerzielle Software. Aber da die Update-Zyklen bei freier Software meiner Beobachtung nach kürzer sind als bei kommerzieller, besteht auch oft die Aussicht, daß der Fehler mit dem nächsten Update behoben wird.
- Es gibt meiner Wahrnehmung nach mehr Kommunikation zwischen Usern und Entwicklern.
- Und natürlich auch der Kostenfaktor. OK: für gute Software würde ich bezahlen. Andererseits ist die Hemmschwelle, mich z.B. mal eben in DTP einzuarbeiten, wesentlich geringer, wenn ich das notwendige Programm nicht entweder teuer oder illegal beschaffen muß, sondern einfach runterladen kann.
- Open Source ist, wie ich meine, gemeinsam geschaffenes Gut, die moderne Allmende.
Das sind so meine Beweggründe. Und natürlich meine ich, daß $mensch kein Profi sein muß, um Spaß am Gerät zu haben – auch als Nicht-ITler macht es heute das Leben einfach viel leichter, diese unheimlich einflußreiche und wichtige Technologie zu verstehen.