Respekt für Weiblichkeiten I: lesbisch = maskulin? Biographische Notizen
Letzten Herbst kam ein Buch heraus, das ich mit großer Vorfreude bestellt und mit gemischten Gefühlen gelesen habe: Femme! – radikal – queer -feminin. Dieses Buch hat so viel in mir angestoßen, daß ich es nicht nur rezensieren will, sondern es mich dazu angeregt hat, mich ausführlicher mit dem Thema Feminität/Weiblichkeit auseinanderzusetzen – aus meiner ganz eigenen queeren Perspektive natürlich, denn die führt zu noch einmal anderen Debatten, als das Thema in heterasexuellen Kontexten auslöst.
Eine Anekdote aus dem Leben meiner Mutter beleuchtet recht treffend, worum es geht. Meine Mutter ist nämlich eigentlich eine butch – wenn sie sich auch bisher als hetera identifiziert. Sie trägt ihre Haare höchstens streichholzlang, mag schnörkellose, praktische Kleindung, ist Kampfsportlerin, gestandene Geschäftsfrau und kann, was sonst im allgemeinen Männern zugeschriebene Eigenschaften wie Durchsetzungsstärke, Rationalität, Entscheidungsfreudigkeit und auch Aggressionspotential angeht, so manchen Macho-Mann in die Tasche stecken. Nun arbeitet sie aber auch schon seit Ende der 80er Jahre in der Kosmetik und trägt natürlich „im Dienst“, wie in der Branche üblich, etwas femininere Kleidung – da waren gerade in ihren ersten Jahren in der Branche auch mal Rock und Pumps darunter. Und das dezente, aber wahrnehmbare Make Up darf natürlich auch nur in Ausnahmefällen fehlen. Nun ist sie auch eine gestandene Feministin und ging in den Achtzigern gerne auch mal nach der Arbeit kurz im Frauenbuchladen vorbei. Dort allerdings erntete sie Blicke, die ihr signalisierten, daß man sie am liebsten postwendend hinausgeworfen hätte: Daß eine, die nicht mit ihrer Kleidung ihre hundertprozentige Identifikation mit der Bewegung kund tat, dort einkaufte, damit tat frau sich anscheinend sehr schwer.
Das hegemoniale Bild: Lesbe = maskulin Schneller Vorlauf ins Berlin von ca. 2000. Als ich 1998 nach Berlin zog, freute ich mich auf die große, vielfältige Frauenszene. Eine eigenständige Lesbenszene, keine Schwulenszene, in der die paar Lesben unter ferner liefen mitgemeint waren. Nun war ich von Saarbrücken in einer Hinsicht verwöhnt: Zwar war auch da kurzhaarig und androgyn das „Leitbild“, aber es gab immer ein paar Exotinnen, und ich habe mich auf den wenigen Homo-Events oder in den paar Homo-Kneipen, zwischen denen ich die Wahl hatte, nie ausgeschlossen gefühlt. Irgendwie war frau als Lesbe so schon exotisch, und es gab in der winzigen Szene einen gewissen Zusammenhalt – und egal, wie lang meine Haare und mein Rock waren, das bißchen Exotik mehr oder anders machte den Kohl nicht fett. (Ich will all die problematischen Seiten kleiner Szenen wie das „jede kennt jede“-Phänomen nicht wegreden, aber die „kleine Welt“ hatte auch ihre wenigen guten Seiten.)
Als ich nach Berlin kam, stürzte ich mich zuerst voller Begeisterung ins Studium, verbrachte fast ein Jahr in literaturinteressierten Kreisen und entdeckte Gothic als meine subkulturelle Heimat. Die Goth-Ästhetik fühlte sich für mich an, als sei sie immer schon meine gewesen. Und Gothic-Frauen paßten in mein „Beuteschema“ wie die Faust aufs Auge. Aber: Diese Ästhetik kollidierte vollkommen mit der, die ich in der Lesbenszene antraf, als ich mich dann mit ihr befaßte. Erst in Berlin wurde mir bewußt, wie normativ das maskuline bis androgyne Bild war. Erst in Berlin las ich auch Coming Out-Ratgeber, und als ich etwa in dem von Manuela Kay das Toilettenproblem (Kurzfassung: Maskulin wirkende Lesbe wird auf der öffentlichen Frauentoilette für einen Mann gehalten und rausgeschmissen) geschildert fand, war das eine fremde Welt. Es war mir bei meinem Coming Out nie in den Sinn gekommen, daß Lesbischsein etwas mit Maskulinität zu tun hätte. Auch wenn die Unfähigkeit zu weiblich konnotierten Tätigkeiten (etwa Knöpfe annähen oder Kleider bügeln) eine Lesbe konstituiert hätte, ich hätte niemals als eine zählen können. Ich frotzele heute noch, daß die Lektüre eines der gängigen Ratgeber mein Coming Out um weitere fünf Jahre verzögert hätte. Jetzt fand ich mich mit mehrerlei Dingen konfrontiert:
- Ich fühlte mich mit meiner Feminität ausgeschlossen und unwillkommen. Zum ersten Mal fühlte ich mich unter Konformitätsdruck – aber unfähig, dem nachzukommen. Denn selbst wenn ich versucht hätte, mich maskulin zu stylen: es hätte nicht funktioniert und es hätte lächerlich gewirkt. Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte: Im Rock, mit Makeup und langem Haar fühlte ich mich zumindest beim Ausgehen wohler. Auch heute fühle ich mich noch schwerstens underdressed, wenn ich in Jeans und T-Shirt tanzen gehe, und meine langen Haare hege und pflege ich liebevoll.
- Ich fühlte mich auch vom Rest der lesbischen Kultur gelangweilt. Nicht repräsentiert, nicht angesprochen und nicht gemeint, wenn ich z.B. die Siegessäule las (das ist noch heute so). (Sub)kulturell zuhause fühlte ich mich unter Gothics, später teilweise auch unter Metallern, heute in heidnischen Zusammenhängen und unter Linuxern.
- Ich fühlte mich für das Thema Partnersuche und überhaupt gelebte Sexualität dennoch auf die Szene verwiesen. Und ich hatte und habe das Bedürfnis, nicht die einzige Lesbe zu sein, denn das war ich in den heterosexuellen Kontexten, in denen ich unterwegs war.
- Zugleich stellte ich fest, daß ich den Frauen, die ich anziehend fand, eigentlich nur außerhalb der Szene begegnete – und das waren dann entweder Heteras, die nichts von mir wollten, oder schlimmer noch: Frauen, die es schick fanden, ein bißchen bi zu spielen, ohne eine Beziehung zu einer Frau in Betracht zu ziehen – und die dementsprechend meine Versuche, zu flirten, als Teil ihres Spiels fehlinterpretierten und mich sitzenließen, wenn sie merkten, daß ich mehr wollte als nur auf der Tanzfläche schauknutschen. Eine schmerzhafte Erfahrung, die mir das Flirten auf nicht explizit queeren Veranstaltungen irgendwann austrieb.
Ich selbst betonte schon ziemlich früh, daß mich nicht das Vorhandensein von maskulinen Frauen störte, sondern daß sie lediglich in erotischer Hinsicht für mich uninteressant waren, und daß mich die Dominanz dieser Maskulinität störte. Das „Feidbild Lesbe“ sieht immer noch so aus: kurzgeschoren, burschikos, Karohemd, Jeans, Augenbrauenpiercing, streng monogam, mehr oder weniger prüde, dogmatisch und vollkommen spaßbefreit. (So das Klischee.)
Kurz nach der Jahrtausendwende änderte sich die Szene – aber darum wird es im zweiten Teil gehen.
sehr treffender Text, was das Normative betrifft ist die Lesbenszene oft keinen Deut besser/anders als die Heterawelt. Dieses wo gehöre ich eigentlich hin bzw. Außenseiter sein, obwohl man dazugehören will ist mir sehr vertraut. Jede ist anders und einzigartig, und genau aus diesem Grund lieben/leben wir doch, oder? Danke für deinen Bericht