Gehört: Blind Guardian, At the Edge of Time

„Die Gardinen“, wie manche Fans Blind Guardian liebevoll nennen, lassen sich mit ihren Alben ja Zeit. Und wenn sie was abliefern, dann hat das Hand und Fuß. So auch diesmal.

Die vorletzte Platte, „A Night at the Opera“, war ein ungewohnter Schritt in eine neue Richtung, und sie ist noch heute eine Platte, die ich sehr speziell finde – grandios, aber nichts für jeden Tag und doch irgendwie sperrig. „A Twist in the Myth“ integrierte meinem Eindruck nach diese Elemente mit dem gewohnten Guardian-Sound zu etwas Neuem. „At the Edge of Time“ ist abermals eine neue Mixtur, und doch erkennt man mit den ersten Riffs die Guardian-typische Klangfarbe.

Schon der Opener – mit einem echten Orchester eingespielt – hat Gänsehautpotential. „Filmmusik meets Powermetal“ war mein erster Eindruck – ein unglaublich differenzierter Orchesterklang, der erst nach und nach mit der Band fusioniert und nicht nach Orchesterklischee, sondern tatsächlich klassisch mit einem Touch Filmmusik klingt. Da kommen auch Instrumente zum Zug, die man sonst im Symphonic Metal eher vermißt, zum Beispiel das Marimbaphon. Doch nicht nur dieses Stück mag ich. Hier meine persönlichen Lieblinge: „Tanelorn (Into the Void)“ greift ein Thema wieder auf, das alte Blind Guardian-Fans kennen werden, gewohnt druckvoll und mit einem Refrain, der „Mitsingen!!!“ schreit. „Curse My Name“ ist ein bemerkenswertes Stück, das mit einigem Celtic Folk-Appeal knapp an der Ballade vorbeisegelt. Hier ergänzt eine Steptanzgruppe das Schlagzeug. „Valkyries“ ist von Anfang an auf eine doomige Art mitreißend und erhebend, obwohl ’nur‘ Midtempo. Und das Schlußstück „Wheel of Time“ begeistert mit einer gelungenen Mischung von orientalischen, orchestralen und metallischen Elementen sowie dramatischen Steigerungen – abermals ein Zehn-Minuten-Brett.

Blind Guardian es auf dieser Platte wieder einmal geschafft, eine tolle Balance zwischen Härte und Melodik, Eingängigkeit und Komplexität herzustellen. „At the Edge of Time“ ist eine gehaltvolle Platte und doch nicht unverdaulich. Die Zusatzinstrumente, die Orchesterelemente und Soundeffekte wirken nirgends effekthascherisch, sondern drücken die Songideen perfekt aus, Symphonic Metal-Klischees suchte ich vergebens. Nicht zu vergessen die Virtuosität, die das Krefelder Quartett aufs Neue beweist – die demonstriert wieder einmal unüberhörbar: Gutes musikalisches Handwerk ist eben durch nichts zu ersetzen.

Klasse finde ich auch das Artwork, das diesmal einen mittelamerikanischen Touch hat. Überhaupt hat Nuclear Blast sich mit dem Digipak richtig ins Zeug gelegt. Auf CD2 der Limited Edition gibt es Demomaterial, ein Video und eine Coverversion von „You’re the Voice“, die richtig gute Laune macht.

Blind Guardian präsentieren sich mit dieser Platte gereift und differenziert und sind bei allem musikalischem Wachstum sie selbst geblieben. Wer melodischen Powermetal mag, dem kann ich diese Platte wärmstens empfehlen. Nur eins frage ich mich nach dieser Platte: Wie wollen die Jungs diese Leistung noch toppen?