Es wird besser.

„It gets better!“, dieses Projekt entstand in Amerika, nachdem Prominente die erschütternde Welle von Selbstmorden von Jugendlichen wahrnahmen. Jugendliche, die alle eins gemeinsam hatten: man hatte sie für schwul oder lesbisch gehalten und deshalb tyrannisiert. In der Schule, zuhause, in ihren Kirchengemeinden. Inhalt des Projekts: Erwachsene nehmen Videobotschaften auf, um Jugendlichen zu sagen: Ja, es wird mit dem Erwachsenwerden besser. Man kann als LGBT-Person ein gutes, glückliches Leben führen. Du hast Zukunftsperspektiven, auch wenn gerade alles sehr düster aussieht. Sogar Barack Obama beteiligt sich:

Auch in Deutschland steht nicht alles zum Besten. Die Selbstmordrate von schwulen und lesbischen Jugendlichen liegt wesentlich höher als die von heterosexuellen (die Rede ist von vier- bis siebenmal, aktuelle Zahlen habe ich leider nicht gefunden), und "schwul" ist leider immer noch gerade unter Jugendlichen ein Schimpfwort. Und deshalb gibt es nun auch eine deutsche Version des Projekts: Es wird besser. Ehrlich gesagt: Wäre zu meinem Ohnehin-Unbeliebt-sein in der Schule – ich war schlicht schon damals ein Klassiknerd, hatte (oh Schreck!) Spaß an Latein1 und interessierte mich einen feuchten Kehricht für das, was andere in meinem Alter für wichtig hielten, – wäre dazu auch noch ein lesbisches Coming Out gekommen, ich weiß nicht, was für eine Katastrophe da hätte geschehen können. Als mein Coming Out sich im Sommer 1995 ankündigte, war ich 20. Ich lebte damals in Sulzbach-Rosenberg im Bundesland Bayern, aber es stand schon fest, daß ich in wenigen Monaten nach Saarbrücken ziehen würde. Auch dort (ich lernte damals an der dortigen Berufsfachschule für Musik) wäre ein lesbisches Coming Out der Tropfen gewesen, der mich in meiner Umwelt vollkommen zur Unperson abgestempelt hätte. In Saarbrücken dagegen war es lebbar, mein Coming Out fiel damit zusammen, daß ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich Freunde fand und ein Leben außerhalb von Studien-/Schulzusammenhängen entfaltete. Aus einer emanzipierten 68er-Linken-Familie kommend, mit einer feministischen Mutter, waren es nicht die Familie oder Freunde, die mich mit der Homophobie unserer Gesellschaft konfrontierten, und es war nicht offene Feindseligkeit, die mich damit konfrontierte, sondern zum Beispiel die wohlmeinende christliche Besorgtheit einer Dozentin. Etwas, womit ich nicht gerechnet hatte und was mich dementsprechend vollkommen auf dem falschen Fuß erwischte. Oder die Tatsache, daß ich nur bei meiner ersten Freundin im Wohnheim übernachten konnte (sie war Krankenschwesternschülerin), weil man einfach nicht an lesbische Beziehungen dachte. Ich mache mir keine Illusionen: als offen queerer Mensch in Metropolen zu leben, ist relativ easy. Aber je ländlicher es wird, desto mehr Mut und Selbstbewußtsein braucht es, offen queer zu leben. Aber auch in Metropolen ist die scheinbar liberale Decke dünn. $mensch muß sich nur mal aus queer-positiven Zusammenhängen rausbewegen. Oder in schwullesbischen Zusammenhängen den Klischees nicht entsprechen. Wenn ich heute für mich nicht ausschließe, irgendwann auf dem Land zu leben, dann ist das, weil es Dinge gibt, die mir gewichtiger erscheinen als das queere Biotop in der Metropole: Naturnähe, Ruhe, ein weniger hektischer Takt, vielleicht weniger soziale Kontakte, dafür beständigere und intensivere. (Ich habe den Vergleich: In Saarbrücken war es wesentlich schwerer, Freunde aus den Augen zu verlieren, während ich mich in Berlin nie wirklich daran gewöhnt habe, daß ich Freundschaften sehr sorgfältig pflegen muß, damit man sich nicht verliert. Und während man hier Leute recht schnell vergißt, erinnern sich meine Saarbrücker Freunde auch nach langen Jahren noch an mich und schließen mich in die Arme, als wäre es erst gestern gewesen, wenn ich sie mal wieder besuchen komme.)
Um die Menschen persönlich zu treffen, die mir wirklich was bedeuten, muß ich ohnehin reisen. Und Berlin hat die Hoffnungen, die ich in diese Stadt gesetzt habe, in puncto queerer/lesbischer Community bitter enttäuscht. Ich kam auch wegen der Frauenszene her, nur um festzustellen, daß ich in der nicht reinpasse. Dafür habe ich hier so viele interessante andere Zusammenhänge erlebt und stelle mehr und mehr fest: Dank Internet könnte ich heute überall meine soziale Nische, Leute, die mir etwas bedeuten und mit denen die Chemie stimmt, finden. Wird es besser mit den Jahren? Für mich: Doch, in gewisser Weise. Ich werde mutiger und mutiger damit, scheinbare Natürlichkeiten zu hinterfragen und so zu leben, wie ich leben will – egal, was andere davon halten mögen. Ich widerstehe mehr und mehr jeder Kategorisierung, weil ich ohnehin in so viele Kategorien einsortiert werde. Es war befreiend, mich von Homo-/Frauen-Schutzräumen zu verabschieden. Ich finde es trotzdem wichtig, daß es diese Schutzräume und diese Gelegenheiten, „unter Homos“ zu sein, gibt. Doch ich hoffe, daß mehr und mehr auch auf dem Land Möglichkeiten entstehen, als Lesbe, Schwuler, Bisexuelle/r oder Trans*-Person offen und gut zu leben; ich hoffe, daß der Preis der Freiheit irgendwann nicht mehr das Ticket in die Großstadt ist, wie auf jetzt.de noch behauptet wird. Und noch was habe ich mit den Jahren gelernt: Es lohnt sich meistens nicht, scheinbar „unnormale“ Seiten an sich zu verstecken und sich dafür zu schämen. Es lohnt sich dagegen, zu sich selbst zu stehen, sich zu zeigen und für die eigene Freiheit aufzustehen. Ich glaube, ich muß mich mit der Videofunktion der neuen Kamera doch mal vertraut machen und mein eigenes „It gets better“-Statement drehen…

  1. und ich finde immer noch, daß Latein eine verdammt schöne Sprache ist

6 thoughts on “Es wird besser.

  1. Die Frage ist, ob solche gut gemeinten Aktionen irgendeine Wirkung haben außer der, dass die Beteiligten in einem guten, politisch korrekten Licht stehen. Was interessiert es deinen homophoben Klassenkameraden, ob Obama lesbisch sein OK findet? Eben, nicht die Bohne.

  2. Ich finde es ziemlich billig, sich hinzustellen und eine solche Kampagne zu dissen. Der Versuch, den Betroffenen selbst Mut zu machen, macht zwar das Vorgehen gegen Homophobie auf anderen Wegen nicht unnötig, aber wenn sich „respektable“ Erwachsene „wie du und ich“ solidarisch zeigen, dann ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn viele hingehen und auch sagen, daß niemand ein Recht hat, jemand anderen wegen seiner sexuellen Orientierung fertig zu machen (und ich habe das Statement von Obama gewählt, weil er sagt, daß bullying nicht OK ist), wenn man viele glückliche Lesben und Schwule sehen kann, wenn sich auch Heteros solidarisieren, wenn es eine breite, sichtbare Solidarität für schwule und lesbische Jugendliche gibt, dann wird es schwerer werden, dieses Anliegen abzuqualifizieren. Im Kern geht das gegen den heteronormativen Konsens, daß LGBTQ-Menschen „die anderen“ sind. Gegen die Alltäglichkeit von „schwul“ als Schimpfwort müssen sicher auch andere einschreiten. Schwule und lesbische Vorbilder „zum Anfassen“ (nicht nur die üblichen Verdächtigen) sind aber, finde ich, ein wichtiger Baustein. Mein Coming Out hätte sicher früher kommen können, hätte ich mehr als eine abstrakte Vorstellung davon gehabt, was Lesben eigentlich sind und wie sie leben.

    Ich denke, daß Statements wie dieses von George Takei ein guter Anfang sind. Denn es ist in meinen Augen wie mit Rechtsradikalismus auch: Breitmachen kann sich der besonders gut, wo er auf einen Nährboden aus Angst, Hilflosigkeit, Arroganz und den alltäglichen Rassismus und Antisemitismus der Mitte trifft. Und wo Erwachsene in der Öffentlichkeit unwidersprochen homophoben Bullshit von sich geben, wundert mich nicht, daß von Jugendlichen die misfits unter ihnen systematisch fertiggemacht werden.

  3. Die Frage ist, ob solche gut gemeinten Aktionen irgendeine Wirkung haben außer der, dass die Beteiligten in einem guten, politisch korrekten Licht stehen. Was interessiert es deinen homophoben Klassenkameraden, ob Obama lesbisch sein OK findet? Eben, nicht die Bohne.

    Die homophoben Klassenkameraden interessiert das natürlich überhaupt nicht — aber an die ist das auch gar nicht gerichtet, sondern an Jugendliche, die mit homo/trans*phoben Mitschülern zu kämpfen haben… und denen macht sowas einfach furchtbar mut! Ich zumindest wünschte ich hätte „it gets better“ und Seiten wie genderfork schon früher entdeckt — seit ich sehe, daß es ganz viele andere „seltsame“ „unnormale“ Menschen gibt, die stolz darauf sind und sich nicht verstecken, sondern ihre Photos öffentlich zeigen, bin ich so viel mutiger und offener geworden so zu sein wie ICH sein will, nicht wie andere vielleicht denken daß ich sein sollte!

  4. Hallo Ryuu,

    ich disse gar nichts, ich frage mich nur, ob das auch irgendeine Wirkung außer der hat, ein gutes Licht auf die Protagonisten der Kampagne zu werfen. Ist wahrscheinlich besser als nichts, allerdings wären mir klare Regeln lieber als Appelle, also auch die Möglichkeit des Schulausschlusses bei wiederholtem diskriminierendem Verhalten bsw. Insgesamt freue ich mir einfach kein Loch in den Bauch, wenn Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, als Kampagne aufgekocht werden, die so viel bewirkt wie die Neujahrsansprache des Bundespräsidenten. Lesbomat

  5. Ich bin sicher, diese Kampagne hat eine Wirkung. Auf die schwulen und lesbischen Jugendlichen, die solche Videos sehen und feststellen dürfen, daß nicht sie allein das durchmachen (in etlichen Statements, die ich gesehen habe, erzählen die Leute auch von dem, was sie durchgemacht haben), vielleicht aber auch auf „ganz normale“ Leute, die sich noch nie Gedanken gemacht haben, wie es sich als Person mit nicht-normativer Geschlechtsidentität oder Sexualität so lebt.

    Mein Coming Out wäre sicher früher gekommen, wenn ich eine genauere Vorstellung von Lesben und Schwulen gehabt hätte, wenn ich mehr Input gehabt hätte, der mich veranlaßt hätte, den heteronormativen Wahnsinn zu hinterfragen. Ich konnte mir damals als Jugendliche, die nur diffus wußte, daß sie anders ist, zwar eine gute Zukunft vorstellen und habe alles für diese Zukunft getan: aber das war die Musik. Nur wenige Jugendliche haben ein so klares Ziel vor Augen, und ich glaube auch nicht, daß das für jeden und jede gut ist. Ich hatte auch eine Familie, in der ich – zum allergrößten Teil – ich selbst sein durfte. Bei meinem Coming Out haben meine Mutter und meine Geschwister ausgesprochen cool reagiert. Das ist ein verdammtes Privileg, ich bin froh und dankbar dafür. Was hätte ich wohl getan, hätte ich nicht dieses Ziel namens Profimusikerinnen-Karriere gehabt, hätte ich nicht die Kraftquelle namens Musik gehabt und hätte ich eine weniger unterstützende Familie gehabt?

    Ach ja, hast Du Dir eigentlich auch mal überlegt, daß Leute, die sich da hinstellen, ihre Gesichter in die Kameras halten und über ihr Leben als LGBT-Menschen reden, vielleicht sogar ein Risiko eingehen? Auch im ach so fortschrittlichen Deutschland gibt es Lesben und Schwule, an die deshalb eine Wohnung nicht vermietet wird, die riskieren, bei bestimmten Arbeitgebern rauszufliegen, und und und. Wir leben zwar nicht mehr in finsteren Zeiten, aber unsere Inseln der vermeintlichen Liberalität sind verdammt fragil.

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