Respekt für Weiblichkeiten IV: Androzentrische Bretter vor den Köpfen
Vor einiger Zeit hatte ich einmal mit Antje Schrupp den folgenden Austausch per twitter:
Vor allem im Bereich Bildung und Karriere wird Frauen ja manchmal unterstellt, sie seien selbst schuld: Sie wählten die falschen Berufe und Studienfächer, seien zu bescheiden und zu wenig kompetitiv. $mensch stelle sich jetzt einmal vor, all die Frauen, die heute in der Pflege, als Grundschullehrerinnen, oder Erzieherinnen arbeiteten, würden sich statt dessen für Karrieren als Ingenieurinnen oder Bankerinnen entscheiden: wer würde diese Frauen zugeschobene und zugeschriebene Arbeit tun? Und angenommen, das Bankwesen würde zu einer Frauendomäne: würde es an Ansehen verlieren, wie es einmal mit dem Beruf des Sekretärs geschehen ist?1
Und überhaupt: Wurde Bescheidenheit nicht mal irgendwann als Tugend bewertet, ist kompetitives Verhalten ein Wert an sich? $frau kann es anscheinend nur falsch machen, denn: Verhält sich eine Frau dann genau wie ein Mann, wird sie als hart, unempathisch, unweiblich abgewertet.2 Diesen Themenkomplex beleuchtet Antjes Text Hallo, Karrierefoscher_innen: Wir müssen reden! – lesenswert, ich kann mir da, glaube ich, weitere Worte sparen.
In lesbischen Zusammenhängen manifestiert sich das in einer Priviliegierung maskuliner Bilder und Inszenierungen. Beispielhaft beschreibt das eine Passage in einem Aufsatz von Dominque Grisard im Femme-Buch: Femmes, schreibt sie, werden verdächtigt, Geschlechterpolarität und damit eine rückschrittliche Weiblichkeit zu inszenieren. Das sei nur verständlich vor dem Gleichheitsgedanken westlicher Demokratien, und weiter:
Der Gleichheitsgedanke ist besonders stark in weißen feministisch-lesbischen Kreisen verbreitet. Hier wird Geschlechterdifferenz mit Geschlechterungleichheit gleichgesetzt, Feminität als misogynes, patriarchales Projekt abgelehnt. Dies hat historische Gründe und wendet sich einerseits gegen Diskriminierungen von Frauen, die ab dem 18. Jahrhundert mit ihrer biologischen, später vornehmlich ihrer soziokulturellen Andersartigkeit legitimiert wurden. Andererseits hat es mit der weißen Frauenbewegung der späten 1960er und 1970er Jahre zu tun, welche die maskulin identifizierte Lesbe als konsequenteste Absage gegen das Patriarchat zelebrierte. […] Gradmesser für eine fortschrittliche, gleichgestellte Gesellschaft wurde das sichtbare ‚undoing gender‘, genauer: die Impersonation männlich konnotierter Verhaltensweisen durch alle Individuen.3
Zusammengefaßt: Wie es (heterosexuelle, weiße, nichtbehinderte, Mittelklasse-)Männer machen, das ist richtig oder zumindest der Defaultzustand, andere Wege werden hartnäckig nicht gedacht, als lächerlich abgetan, marginalisiert.
Nun habe ich selbst, sozialisiert in einer patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft, eben dieses Denken auch verinnerlicht. Doch ich arbeite dran, es zu verlernen. Hätte ich dieselbe Gabe, Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen wie der eibensang, ich schriebe statt dieses Essays eine Glosse über die Notwendigkeit, die Sprach- und Sozialkompetenz von Jungs zu fördern, nicht daß die am Ende alle total arbeits- und karrierefixiert werden, was ja, wie jede weiß, nur schlecht für ihre Aussichten auf eine vollwertige Beteiligung am Familienleben sein kann.
- Die Quelle hierzu ist mir leider abhanden gekommen, liefere ich nach, wenn sie mir wieder unterkommt. ↩
- vgl. eine in der taz wiedergegebene Studie ↩
- Dominique Grisard: Die Femme als Doppelagentin. Ein Plädoyer für Tarnung und Täuschung, in: Fuchs, Sabine, Femme! Radikal – Queer – Feminin, 1. Aufl (Berlin: Querverl., 2009), S. 127-140, hier: S. 136/137 ↩
Eine Welt ohne Wettbewerb? Dazu mangelt es mir vermutlich an Vorstellungsvermögen.
Es geht dauernd darum, der Beste(w/m) im Wettbewerb zu sein: Preis, Leistung, Attraktivität – sei es nun wenn man sich im Supermarkt zwischen Waschmittel(*) entscheiden muss, einen Partner(w/m) „sucht“ (wir können es zwar verneinen und eklig finden, dass wir, wenn auch unbewusst, nach solchen Kriterien vorgehen, aber der Mensch ist dann immer noch stark durch so etwas gesteuert), sich neue Technik durchsetzt, konkurrierende Forschergruppen das beste Ergebnis präsentieren wollen, eine Mutation in den Genen einsetzt und einem Lebewesen in der Evolution einen Vorteil verschafft, oder sich der beste (wenn auch womöglich skrupelloseste) Manager(w/m) durchsetzt und die besten Ergebnisse erzielen kann.
*: Ist mir spontan eingefallen, da beim Supermarkt um die Ecke der Wettbewerb zwischen Waschmittel als Tabs und Pulver einfach abgestellt wurde, in dem es nur noch Tabs gibt. Natürlich zum x-fachen Preis.
Wettbewerb abzuschaffen hört sich daher für mich irgendwie so an: „Wir sind alle gleich. Alle gleich schlecht.“
Das der Beruf der Sekretärin schlechtes Ansehen genießt, kann ich mir gerade gar nicht vorstellen. Jede Firma würde gnadenlos zusammenbrechen, wenn die Sekretärinnen streiken würden. Auch kann ich mir Männer an deren Stelle so gar nicht vorstellen, da ich nicht glaube, dass die das Ganze so gut bewältigen könnten.
Hm, nur als Denkspiel: was passiert, wenn die Müllmänner streiken? Kann man deshalb sagen, daß Müllmann ein Beruf mit gutem Ansehen ist? Wer will Müllmann werden?
Zum Thema Wettbewerb, ich lebe zum Teil (leider weniger, als ich gern würde) in einer Gemeinschaft, wo Wettbewerb keine Rolle spielt. Ich vermisse da nix, im Gegenteil, alle geben ihr Bestes – für gemeinsame Anliegen. Und wir sind alle so unterschiedlich und bringen jede_r so verschiedene Talente und Eigenschaften mit, daß sich ein Vergleich verbietet.
Natürlich ist Wettbewerb die Zentralachse und die heilige Kuh des Kapitalismus, und wer kann sich ein gutes Leben jenseits kapitalistischer Strukturen vorstellen? Trotzdem liegt mir daran, auf solche Beschränkungen unseres Vorstellungsvermögens hinzuweisen. Ich arbeite daran, meine Grenzen in dieser Hinsicht zu erweitern.
Mh, Wettwerb. Ich glaub, das ist ein Mythos. Es ist auch nicht Survival of the fittest. Es ist, kennst du wen und die richtigen, dann biste an der richtigen Stelle. Und biste einmal dort, mach dich breit und lass niemand zu nahe an dich rankommen.
Und dass die Jungs da Angst haben, um ihre Pfründe kann ich verstehen. Es ist häufig nur heiße Luft, die bei ein bisschen Kicksen entweicht.
Und zweites „Mh“: Richtig, will ich Karriere in dieser Männergesellschaft? Will ich deren Werte weitertradieren?
Ich will die Goodies abgreifen natürlich – Filme, Comics, Spiele und vielleicht ein zwei gute Gedanken/ Philosophien, seien sie von Frauen oder Männer.
Ansonsten – aber da ergreife ich nur eine Ahnung davon – überlege ich mir, wie könnte eine andere Welt anders aussehen?
Und manchmal habe ich da das Gefühl, dass es nicht nur feministisches oder weibliches Denken ist, sondern dass auch manch männliches Gehirn sich Gedanken darüber macht, dass irgendwas nicht so besonders gut läuft in dieser unserer nur einen leider verseuchten zerstrittenen seit mindestens 4.000 Jahren kaputtgemachten Welt… Irgendwo ist der Wurm drin.
So oder ähnlich. 🙂
Noch einen Hinweis zu einer Quelle: Beim Artikel zur taz fehlt ein / am Schluss. Deshalb laden die Seiten unendlich oder wagen sich gar auf einen Hinweis: kenne das Dokument nicht, willst du es tatsächlich herunterladen?
Der Link zum taz-Artikel ist repariert. Danke für den Hinweis.
emanzipiation bedeutet auch, sich von den (vermeintlichen) erwartungen anderer – man nennt sie auch stereotype – zu befreien und einfach mal auf die empathische weiblichkeit zu pfeifen. solange frauen aber feige und eitel nach anderer leutz pfeife tanzen, wirds nix werden mit der freiheit. oder mit nina hagen gesagt: »Vor dem ersten Kinderschreien muss ich mich erst mal selbst befreien«.
Das Problem ist, dass Gesellschaften ohne Wettbewerb sich meist technologisch langsamer entwickeln. Siehe Kommunismus.
Wie die DDR zeigte sind Frauen dann die ersten, die in die Gegenden auswandern, in denen mehr Fortschritt vorhanden ist, wenn sie es können
Ich finde es interessant, wie sich in Deinem Kommentar das Primat von Wirtschaft und technologischem Fortschritt im Denken unserer Gesellschaft spiegelt.
Habe ich gesagt, daß Wettbewerb an sich doof ist? Nein, ich finde ihn nur als Organisationsprinzip für eine Gesellschaft unangemessen. Und welche Rolle kooperatives Verhalten für Fortschritt spielt: das wird ja immer unterschlagen.
Es gibt Bereiche, da mag kompetitives Denken und Verhalten angemessen sein, in vielen ist es jedoch als Paradigma fehl am Platz. Da zählt eben m.E. der ganze Bereich der Versorgungsarbeit, der „Arbeit am Menschen“ dazu, egal, ob es sich um Kindererziehung, Gesundheitswesen oder Hochschulbildung handelt. Und auch im Kreativen ist es Gift, sich ständig mit anderen zu vergleichen.
Kompetitives Verhalten ist nur ein Beispiel für das, worauf ich mit diesem Artikel hinaus will: nämlich das noch nicht einmal bewußte Modell, so wie der durchschnittliche weiße, westliche, heterosexuelle, nichtbehinderte Mittelschicht-Mann macht, sei es richtig, fortschrittlich und erstrebenswert. Ich sage damit nicht, daß dieses Verhalten falsch ist, ich möchte nur darauf hinweisen, daß es nicht das einzig legitime ist – und eigentlich ging es mir damit eher um Gender-Inszenierungen als um Karriere.
Welchen Stellenwert die für mich hat, beschreibt Bodecea in einem schon etwas älteren Artikel so treffend, daß ich mir die Mühe spare, hier viel darüber zu schreiben.