Mittelaltermarkt und so

Gestern war ich auf dem Mittelaltermarkt von „Zum Germanen“, der jedes Jahr im Frühling stattfindet, praktischerweise in S-Bahn-Reichweite.

Tribal Dance-Gruppe

Authentizitäts-Niveau war so mittel, sieht schon alles „irgendwie mittelalterlich“ aus. Die beste Freundin, die da sehr kritisch ist, würde wahrscheinlich über vieles meckern. Und es war irre voll. Ich sah wenig, was ich gern haben wollte – sogar für das klassische Mittelaltermarktgut ‚heidnischer Symbolschmuck‘ habe ich inzwischen meinen Händler des Vertrauens – , ich vermißte einen Räucherwerkstand (mein Styrax ist alle), und am einzigen Stand, wo ich etwas Nicht-Trinkbares kaufte, schaute mich die Händlerin mit einem „Kennen wir uns nicht?“ an und entpuppte sich als Bekannte. Flugs saß ich eine halbe Stunde am Stand und unterhielt mich mit ihr und ihrem Freund. Eine andere Freundin bot Salze an…

Salzverkauf

und die Krücke, die sie unfallbedingt benutzen muß, wurde mit einem blinden Fuchs getarnt:

Krückentarnung

Das hier ist das gute Stück, das ich mir gekauft habe:

Kerzenständer

Und nun gibt’s eine Mittelaltermarkt-Darsteller-Sippe, die mich am liebsten assimilieren will. Ich bin gespalten – ich habe doch schon so viele Aktivitäten, die meine Zeit und mein Geld wollen. Ich bräuchte definitiv Gewandung und aus Temperaturgründen führt für nicht-hochsommerliche Tage um Wollstoffe nichts herum. An der Mittelalterszene stört mich diese oft so unkritische Reproduktion von Geschlechterstereotypen. (Ja, auch ich würde mich da, wenn ich was darstelle, wahrscheinlich auf Textilhandwerk konzentrieren und/oder Musik machen.) Und ich frage mich, ob solche Märkte nicht auch dazu neigen, ein schiefes Bild, ein manchmal allzu romantisiertes Bild vom Mittelalter zu vermitteln. Und wenn ich schon dabei bin, tendiere ich dazu, wirklich „A“ (für authentisch) sein zu wollen: also die gesamte Ausrüstung, Kleidung, die Handwerkstechniken, die ich vorführe, aus einer konkreten Zeit und einer konkreten Gegend (für eine französische Stadtbürgerin aus dem 13.Jh. dürfen dann keine Motive sein, die eine Alemannin aus dem 5. Jahrhundert verwendet hätte), möglichst vieles archäologisch belegbar… das geht dann in Richtung Reenactment und ist nicht mehr so unbedingt etwas, das man so nebenbei macht. Und die Musik… so als eine, die mal ein 13. Jh.-Organum aus Neumen in moderne Notenschrift übertragen gelernt hat, frage ich mich: Hört man mal Harfen, Leiern, Fideln, Flöten? Hört man mal Leute mehrstimmig singen? Hört man Motetten, Organa oder Cantigas? Es ist gar nicht so wenig an mittelalterlicher Musik überliefert, das ist nur anders, als das übliche Mittelaltermarktpublikum erwartet. Schneller, als ich „aua!“ sagen könnte, wäre ich wahrscheinlich dabei, ein eigenes Musikprojekt aus dem Boden zu stampfen, das dann schneller, als ich „huch!“ sagen könnten, musikarchäologischen Anspruch entwickelt. Mir macht die Mittelalterei mal Spaß – so zwischendrin. Es ist schön, mal den ganzen Tag im Freien zu sein, ohne moderne Technik, ohne Uhr, und historisches Handwerk macht Spaß: mir vor allem da, wo langlebige, schöne Gebrauchsgegenstände dabei herauskämen, die ich auch abseits von Mittelalterdarstellung benutzen könnte. Aber eigentlich ist mir das für einen solchen Aufwand nicht wichtig genug. Im Moment habe ich andere Dinge, die mein Herzblut, meine Zeit und mein Geld verlangen: die Musik, das Songschreiben, Asatrú (meines ist eins, das ganz entschieden eins des 21. Jahrhunderts ist), Bloggen, die Computerei, Sport treiben möchte ich auch mal – wozu ich auf die Dauer doch Zeit am Wochenende brauche – , ich möchte auch gerne mal mehr wandern und irgendwann auch wieder ins Bergsteigen kommen… Tja, ich glaub, ich gehe jetzt erstmal eine Runde in den Wald.