Gendercamp 2011 – mein Rückblick

Das habe ich wirklich eine Ewigkeit vor mir her geschoben: mal einen Rückblick aufs gendercamp zu schreiben… Erst mußte ich die Eindrücke verdauen, und dann holte mich unbarmherzig der Alltag ein und ich hatte keine Muße. Es ist viel darüber geredet worden, viel Kritik geübt worden; ich schreibe diesen Artikel jetzt, ohne noch einmal Blogschau zu halten oder viel anderes nachzulesen, weil er sonst gar nicht fertig wird.

und nach der Planung

Es war mein erstes Barcamp, insofern habe ich ein wenig Zeit gebraucht, um zu begreifen, daß dieses Konzept bedingt, daß ich notwendigerweise Dinge verpasse – was teilweise dadurch aufgefangen wird, daß Sessions dokumentiert werden. Es bedeutet aber auch, daß nicht alle die ganze Zeit auf einem Haufen hängen und man nicht zwangsweise riesige Sessions hat, wenn sich die Leute tatsächlich gut verteilen.

Ich freue mich auch, daß das mit der Fahrt so gut geklappt hat. Wir sind als große Gruppe aus Berlin hingefahren, ICE (ja, ich war sehr froh, diese Option gewählt zu haben, reservierte Sitzplätze sind was Tolles!) und eine hatte das organisiert – Chapeau. In dieser Gruppe hin und zurück zu fahren hat auch den Nervfaktor An- und Abreise sehr gedämpft.
Das ABC ist ein richtig tolles Haus. Das Essen war gut und hob sich wohltuend von den vegetarischen Optionen ab, die ich sonst so geboten kriege, wenn ich z.B. mit dem Chor in Tagungshäusern o.ä. bin – daß ganz selbstverständlich auch veganes Essen angeboten wird, ist mir noch nie begegnet – , die Ausstattung war richtig grandios und das Preis-Leistungsverhältnis super. Mal ehrlich: einen solchen Preis habe ich mitunter schon für ein Wochenende als Selbstversorgerin gelöhnt. Ganz zu schweigen vom ultimativen bahnfahrer_innenfreundlichen Shuttleservice, den das Haus anbietet! Ich bin begeistert und für den Fall, daß ich nochmal eine Veranstaltung mit ~30-60 Leuten organisieren muß, wo die Gegend auch als Veranstaltungsort hinkommt, merke ich mir dieses Haus auf jeden Fall.

Inhalte

Ich habe, fiel mir im Rückblick auf, irgendwie das Technischste mitgenommen, was ich kriegen konnte, und fand das sehr interessant. Es tat gut, mit technikinteressierten Leuten zusammen zu sein, bei denen ich auch das Gefühl hatte, sie bringen gleichzeitig Sensibilität für gender & queer mit (nicht, daß ich da bisher in Linuxer-Kontexten über irgendwelche Arschigkeiten gestolpert wäre; aber es war mit den Leuten, die sich aktiv für den Komplex gender/Feminismus/Netzkultur interessieren, noch einmal, zumindest gefühlt, was anderes).
Vielleicht hab‘ ich mir auch ein wenig viel aufgeladen mit dem Machen. Schade auch irgendwie, daß die Session zu Religion vs. Spiritualität vs. genderqueer, die mir am Herzen lag, wegen ihrer Kürze über eine Vorstellungsrunde kaum hinauskam; vielleicht ist eine eigene, längere Veranstaltung zu der Thematik sinnvoll?

Es war eine gute Idee, die Klampfe mitzunehmen, und ja: ich habe reichlich gespielt. Daß ich es gewagt habe, am Lagerfeuer eins von meinen FAWM-Liedern zu singen, ist für mich ein Zeichen, daß ich mich sicher und aufgehoben gefühlt habe (singen und Gitarre spielen gleichzeitig klappt bei mir noch nicht so gut, erst recht nicht vor Publikum). Auch die Gespräche am freitagabendlichen Lagerfeuer haben mir gut getan. Ich denke, dieser informelle Austausch zwischen den Sessions sollte nicht unterschätzt werden.

Kommunikationsverhalten und Feedback

Das Sonntagmorgen-Plenum begann mit einer ziemlich frustträchtigen Geschichte: ein anonymer Brief aus dem „Kummerkasten“ wurde verlesen, der einen ziemlichen Rundumschlag landete – Redeverhalten, Respekt für selbstgewählte Bezeichnungen, Umgang mit Wissensgefälle… – und ich fühlte mich sofort schuldig. Da war ein Gefühl von „Götterse, bin ich jemandem auf die Füße getreten und hab’s nicht mal gemerkt?“
Mir fielen in der Diskussion zwei Dinge auf, die mir im Gedächtnis geblieben sind.
Das eine: Respektvoll Kritik zu üben und anzunehmen, ist in unserer Kultur eine Kunst, die total unterentwickelt ist. Ja, klar habe ich mir mal in dem einen oder anderen Karriereseminar mal kurz Feedback-Regeln erklären lassen (verhaltensnah und konkret beschreiben, Konsequenzen darlegen, nicht die Person, sondern das Verhalten kritisieren, eigene Wünsche benennen…), aber eingeübt ist das null, und groß geworden bin ich eher mit Kritik in Form von Anschreien und (durchaus auch mal ziemlich brutalem) verbalem Abwatschen. Daher fände ich es z.B. wichtig, Modelle für konstruktives Kritisieren z.B. in einer Session über Redeverhalten vorzustellen. Denn im Idealfall sollte es ja nicht darum gehen, seinen Frust abzuladen oder jemanden zur Schnecke zu machen, sondern darum, daß die kritisierte Person ihr Verhalten ändert.
Das andere: da schimmerte immer mal wieder die Sorge durch, eine Intervention wegen eines *istischen Verhaltens könnte dazu führen, daß die Inhalte zu kurz kommen.
Ich denke, das sollte $mensch je nachdem, wie gravierend eine Verhaltensweise sich für den_die Betroffene_n anfühlt, einfach in Kauf nehmen. Warum sollte das „Was“, das bearbeitet wird, wichtiger sein als das „Wie“ und das „Wie geht es den Leuten?“ Das ist für die, die Lust haben, sich mit den Inhalten zu befassen, natürlich unbequem. Aber kein Mensch hat Lust, sich mit Interventionen dieser Art auseinanderzusetzen und erst recht nicht, selbst Zielscheibe von diskriminierendem Verhalten zu werden. Unnötig wird das dadurch trotzdem nicht.

Es ist ja selten geworden, daß ich in großen Gruppen an einer Diskussion beteiligt bin, und darum war mir überhaupt nicht mehr klar, welches Diskussionsverhalten ich eigentlich an den Tag lege. Ich habe auch nur selten Gelegenheit, mein Verhalten zu reflektieren – bin da also total aus der Übung. Aber ich würde gerne was darüber lernen, und das geht wohl nur übers Machen und auch über das Risiko, was falsch zu machen. Insofern, auf die Gefahr hin, daß ich der alten Derailing-Strategie „Wenn du mich nicht lehrst, wie soll ich es lernen?“ verdächtig bin: Ich würde total gerne mehr über das Thema „nicht-diskriminierendes Kommunikationsverhalten“ lernen.

Die Ortsfrage, oder: Warum sind eigentlich alle tollen Sachen in $METROPOLE oder $WEITWEITWEG?

Eine Teilnehmerin aus Süddeutschland war über den Ort des Camps ziemlich unerfreut – PylonC hat dazu mehr geschrieben, ziemlich gegen Ende seiner ausführlichen Rückschau.
Auch für mich heißt die Antwort auf diese Problematik: Nicht meckern, machen. Es gibt zum Glück kein Copyright auf Barcamps zum Thema Feminismus, gender oder queer. Ich fände die Idee von themenverwandten Barcamps in anderen Regionen, nicht nur Norddeutschland, sehr gut.

Und noch was Persönliches zu dem Thema. Ich sag’s ganz offen: in den letzten Jahren ist bei mir der Zweifel gewachsen, ob ich für immer und ewig in Berlin bleiben will. Was mich hier hält, ist die Arbeit. Meine Freunde sind mittlerweile lustig über den deutschsprachigen Raum verteilt, was mich ursprünglich mal nach Berlin gebracht hat, ist zu großen Teilen entweder nicht mehr vorhanden, mir nicht mehr wichtig oder sah nur von fern so toll aus. Die Sehnsucht nach der alten Heimat (Karlsruhe, wo ich geboren bin, Saarbrücken, wo ich ein paar sehr glückliche Jahre verbracht habe) wird mit jedem Jahr stärker, im selben Maße, wie meine Überzeugung, daß ich nicht auf das „Biotop Großstadt“ angewiesen sein will. Langer Rede kurzer Sinn: Vielleicht werde ich deshalb irgendwann zu denen gehören, für die Hüll „weit, weit weg“ ist. Und dann werde ich eben, wie dieses Jahr auch, kommen, wenn Portemonnaie und Terminkalender es hergeben. Und mich freuen, wenn es auch noch anderswo gendercamps oder verwandte Veranstaltungen gibt und sie evtl. auch besuchen.

Danke.

Insgesamt: Ein richtig tolles Wochenende, auch wenn ich das Gefühl hatte und habe, daß von mir gerade andere Baustellen meine Aufmerksamkeit wollen. Es war toll, so viele Leute mit verschiedenen Hintergründen zu treffen, es war gut, so viele verschiedene Lebendigkeiten kennenzulernen. Mein DANKE an das Orgateam kann gar nicht fett genug ausfallen. Ihr habt eine Menge Frust auf Euch genommen, es war nach allem, was ich höre, nicht so kuschelig wie letztes Mal. Ihr habt einen echt tollen Job gemacht. Danke.

So, und jetzt ist es vier Uhr morgens, es war mir wichtig, das hier noch aufzuschreiben. Ich bin hundemüde, und ich klicke jetzt einfach mal auf „Schedule“ und gehe ins Bett, ohne hier nochmal korrekturzulesen. Schönen Sonntag, und vielleicht sehen wir uns bei den genderbars, bei Queer Geeks & Naughty Nerds oder auch auf dem gendercamp 2012.

3 thoughts on “Gendercamp 2011 – mein Rückblick

  1. „Da war ein Gefühl von “Götterse, bin ich jemandem auf die Füße getreten und hab’s nicht mal gemerkt?” Das ging vielen so, wie ich gehört/gelesen habe – mir auch. Bin mir auch noch nicht ganz schlüssig, wie genau ich selbst damit umgehen kann. Auf jeden Fall ist das ein Punkt (Privilegierung/unterschwellige Diskriminierung), der beim nächsten Camp im Auge behalten werden sollte.

  2. Diese plötzliche Verunsicherung wäre sicher milder ausgefallen, wäre die Kritik etwas klarer auf ein konkretes eigenes Erlebnis bezogen gewesen. Teilweise war sie das ja auch (z.b. die Kritik an der Bitte, Wissengefälle einzukalkulieren, am ersten Abend, die Interventionen erschwert/unmöglich gemacht habe), an anderen Stellen wieder nicht. Vielleicht war das dem_der Schreiber_in dieses Briefes nicht möglich. Ich glaube, Verunsicherung ist unausweichlich, wenn es um solche Machtverhältnisse geht, die ja oft mit blinden Flecken verbunden sind (mir ist z.B. in der Diversitäts-Sitzung nicht aufgefallen, daß kein_e einzige_r [erkennbar] nicht-weiße_r Teilnehmer_in anwesend war). Ich habe mich trotzdem nach dieser Diskussion im Plenum am Sonntagmorgen nicht so toll gefühlt.

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