Wie ich in der Schule nicht Naturwissenschaft lernte
Eigentlich bin ich durch Nachdenken über ein ganz anderes Thema darauf gekommen, das folgt auch noch. Die folgenden Gedanken haben sich dabei verselbständigt.
Zur Zeit hätte ich total Lust, meine naturwissenschaftliche und mathematische Bildung aufzupolieren, statt mich einfach damit abzufinden, daß ich das nun mal nicht kann. Ich denke nämlich: Ich kann. Nur hat mir da in der Schule viel dazwischengefunkt, angefangen damit, daß Rechnen seit der Grundschule mit Abwehrreflexen und Minderwertigkeitsgefühlen (ich bin zu langsam!) verknüpft ist (Kopfrechnen! Anstrengend! Hexenwerk nachgerade!). Ich war wirklich schlecht in Mathe, schlecht wie „Vier, immer mal wieder die Fünf ankratzend“. Lese-Rechtschreib-Schwäche hatte man damals schon auf dem Schirm, Rechenschwäche hingegen nicht. Auch wenn ich wahrscheinlich keine Rechenschwäche hatte, genauso wenig wie ich glaube, daß all die Kinder, die damals Lese-Rechtschreib-Förderstunden bekamen, tatsächlich eine ausgewachsene Legasthenie hatten – Kinder, die sich mit Lesen und Rechtschreibung schwer taten, wurden ganz anders gefördert als welche, die mit Rechnen und Zahlen nicht klarkamen.
Dann kam ein Musterfall von negativem Pygmalion-Effekt – ein (im übrigen auch noch sexistischer) Mathelehrer, der überzeugt war, daß ich das nicht kann, da ich als Kind einer alleinerziehenden Mutter ja asozial sei und nicht ans Gymnasium gehörte – danach besserte sich zwar die Mathenote wieder, die Grundlagen blieben jedoch wacklig und Rechnen mit Unsicherheit und Angst besetzt.
Zum Vergleich – Grammatik war für mich nie so besetzt und ist auch für mich heute ein Regelsystem, das ich einfach nur stur anwenden muß. Ist zwar manchmal anstrengend, so einen Satz auseinanderzuklamüsern, aber bei weitem nicht mit dem Gehirnkrampf verbunden, den mir Rechnen bereitet. (Mal davon abgesehen, daß es mir auch in Fleisch und Blut übergegangen ist: weniger durch mein Studium – die Linguist_innen sind schließlich die Grammatiknerds vom Dienst, nicht wir Philolog_innen – als dadurch, daß ich wirklich ständig mit Texten und ihren Beschaffenheiten zu arbeiten hatte und habe und sowieso schon, seit ich lesen konnte, sehr viel gelesen habe.)
Es gibt zwar, vor allem seit der Rechtschreibreform, Dinge, die ich nicht aus dem Kopf weiß, aber da weiß ich, wo ich im Zweifelsfall nachlesen müßte.
Und ja, ich weiß, daß Mathematik nicht gleichzusetzen ist mit Rechnen, aber in meinem Schulunterricht war das weitgehend deckungsgleich.
Was die Naturwissenschaften angeht: Das ließe sich überschreiben mit „Wie Bildungskleinstaaterei meine Bildung sabotierte“. Ich habe mitten in der 8. Klasse von Karlsruhe nach Landau die Schule gewechselt, von BaWü nach Rheinland-Pfalz. Benachbarte Bundesländer, gerade mal 35km Entfernung, unterschiedliche Lehrpläne: in BaWü wurde in der 5. mit Biologie angefangen, dann in der 8. Physik und in der 9. Chemie. In RLP dagegen fing man in der 5. gleich mit allen drei Disziplinen an, um dann je ein Jahr mit einem Fach auszusetzen. Und dann übersprang ich zu allem Überfluß auch noch eine Klasse: von der 10. in die 11. Was, insgesamt gesehen, schon stimmig war, ich war vorher überhaupt nicht richtig gefordert. Das einzige Fach, in dem ich bis dahin so halbwegs Grundlagen hatte und nicht nur halbwegs erfolgreich mitschwamm, war Biologie, was dementsprechend auch mein naturwissenschaftliches Leistungsfach wurde.
In Geschichte gab es durch mein Schuljahr-Überspringen einen ähnlichen Fuckup (mein Geschichtsunterricht in der Schule erreichte exakt das Jahr 1933), aber Geschichte kann ich mir leichter anlesen, darin habe ich Übung.
Ich will jetzt nicht „Ich armes Opfer“ sagen. Aber solcher Scheiß verhindert einfach, daß junge Leute anständig Naturwissenschaft lernen. Ich kann offenbar schnell lernen und ich hatte Unterstützung von meiner Mutter (Medizinerin) und meinem Großvater (Ingenieur). Ich schmökerte u.a. im Ärzteblatt und in den VDI-Nachrichten. Was diese Schulkarriere wohl mit jemandem gemacht hätte, der_die nicht diese Unterstützung hatte und nicht diese selbstverständliche Bildungsnähe?
Ich wüßte gerne, ob sich da seit meiner Schulzeit viel geändert hat.
Nachtrag: Ich erinnerte mich gerade an diesen großartigen TED-Talk: