Blogschau: Handarbeit, gender, Häuslichkeit
Ich schreibe dies hier als kleine Materialsammlung für eine Session, die ich beim Gendercamp gerne halten möchte. Mein Fokus liegt zwar auf Crafting/Textilien herstellen (Stricken/Nähen), aber auch auf andere der weiblichen Sphäre zugeschriebene Dinge und Blog-Themen (z.B. Kochen oder Wohnungsdekoration) trifft vieles davon zu. Hm, und jetzt stelle ich fest, die Debatte ist doch gar nicht so ausführlich, wie ich sie im Gedächtnis hatte – aber es hängt ja auch noch die Blog-Relevanz-Debatte dran, nämlich: welche Blogs werden öffentlich wahrgenommen und für relevant erachtet? Doch meistens die männlich konnotierten und dominierten News-, Technik- und Politikblogs. (Anschauungsmaterial: die letzte Ausgabe der Deutschen Blogcharts). „Strickblogs“ rangieren jedenfalls in der Bewertung, die ich auf Arbeit mitbekomme (im SEO-Bereich), kurz vor „Katzencontent“.
Der Anfang der Debatte: Gender matters?! von Catherine äußert Unbehagen an der allzu positiven Weiblichkeit, am allzu unkritischen Reproduzieren von Weiblichkeitsbildern, die mit Häuslichkeit und Sich-Einrichten in den bestehenden Zuständen zu tun haben:
Und warum muss ich jetzt darüber bloggen? Weil ich selbst seit einer Weile ein ziemliches inneres Dilemma verspüre, was mit weiblicher Präsenz im Netz zu tun hat. Denn auch wir produzieren ja mediale Geschlechterbilder. Und da sehe ich im Moment einen Trend zu einer Art neuen Häuslichkeitskultur, die sich professionalisiert. Und das finde ich an manchen Stellen schwierig.
gender matters von Distel: Kritik am positiven Bild einer ungebrochenen Weiblichkeit – „zuviel Heile Welt“. In den Kommentaren: Bloggerinnen fühlen sich überlastet damit, auch noch in ihrem Freizeit-Spaß-Bloggen kritisch zu sein; andererseits Konsumorientierung – Selbermachen als neue Quelle von Konsum (dann eben Handarbeitsmaterial statt fertiger Kleidungsstücke).
Jinx von knittinganarchist.de greift die Frage auf: Spannende Frage: Heim an den Herd durch die Kraft unserer Hobbys? Für sie geht es u.a. um die Bewertung von Häuslichkeit:
Zurück ins Haus? Die Gesamtfragestellung impliziert, dass das etwas Negatives ist, und diese Assoziation kommt zweifellos aus der Zeit, als in Deutschland der in gesellschaftlicher Hinsicht natürliche Lebensraum der Frau die eigene Wohnung war – egal, wie es dort zuging und ob der Aufenthalt dort als unerstrebenswert bis unzumutbar einzustufen war. Heute haben die meisten von uns einen Schulabschluss und eine Ausbildung, viele haben Arbeit und verbringen einen großen Teil des Tages außer Haus (das Problem der Arbeitslosigkeit lasse ich hier mal beiseite). Dass wir überhaupt in Betracht ziehen, mehr als nötig zu Hause zu machen, ist soziologisch gesehen durchaus positiv, denn es bedeutet, dass unsere häusliche Situation zumindest erträglich ist, denn sonst würden wir es vermeiden, mehr Zeit als nötig dort zu verbringen, und das Glück hat längst nicht jeder.
Und ich habe in der ersten Ausgabe von meinem Labercast das Thema auch erwähnt.
Interessant sind in dieser Debatte auch zwei ältere Blogposts von Distel:
Selbstausbeutung & Dumping bei Selfmade-Portalen. Hier kritisiert Distel vor allem die Preisgestaltung bei Dawanda, die bedeutet, daß Verkäuferinnen oft nicht viel mehr als den Materialwert verlangen, jedenfalls keine Preise, die einen existenzsichernden Stundenlohn erwirtschaften würden. In den Kommentaren schien durch, daß die Preisgestaltung bei nicht-weiblich konnotierten Handwerksdisziplinen, z.B. Buchbinderei, viel eher dem Kunsthandwerkscharakter angemessen ist.
Auch interessant: Mehr über: Kunst, Handarbeit und „3rd Wave feminism“, wo sie auf den Mangel an Protestcharakter eingeht, den sie in der DIY-Bewegung wahrnimmt. Der Artikel vergleicht außerdem die Qualitäten von vorindustriellen bzw. nicht-industriell hergestellten Gegenständen mit denen, die unter kapitalistischen Bedingungen als „selfmade“ hergestellt und angeboten werden:
Eine Wanderung durch das ethnologische Museum in Berlin vor 3 oder 4 Jahren brachte mich mal auf den Gedanken, daß die Alltagsgegenstände von sogenannten „Naturvölkern“ die vor 100 Jahren diesen durch Kolonialisten entrissen wurden, eine ganz krasse Ästhetik haben: Sie sind wahnsinnig komplex gearbeitet und zeugen von hochentwickelter Handwerkskunst und bedienen sich aber gleichzeitig hoher Abstraktion und ganz einfacher Designs. Ich habe mich gefragt, wie es sein muss, mit wenigen, aber auf höchstem Niveau von Handwerkskunst und Design hergestellten Dingen zu leben. Und ich merke jetzt, daß die sogenannte „Lo-Fi-Kultur“ diese Werte zwar gerne vertreten würde, daß aber oft genug schnell zusammengenähte und -gestrickte Ramschsachen dabei rauskommen, die noch viele Meilen entfernt sind vom Niveau der jahrhundertealten handwerklich hergestellten Alltagsgegenstände vorindustrieller Kulturen.
Nachtrag: Ich habe ganz vergessen, daß auch Hanhaiwen einen kurzen Artikel darüber geschrieben hat. Und ein Artikel von Lipstickterrorist schlägt in eine ganz ähnliche Kerbe.
Anmerkung zur – meist weiblichen – DIY Szene: ich finde es gut, wenn Sachen recycelt werden wie z.B. beim Herstellen von T-Shirt-Garn oder wenn Handarbeiten wie Stricken und Häkeln in den öffentlichen Raum getragen werden wie beim Yarnbombing und guerillaknitting. Das ist so wohltuend anders als manche Aktion von Männern. Diese Unterschiede sollten wir selbstbewußt vermarkten.
Grundsätzlich stimme ich dem zu, aber: Ich bin skeptisch, wenn „Männer“ und „Frauen“ gegeneinander gestellt werden (deshalb schreib ich ja auch von „weiblich konnotierten“ Arbeiten). Denn prinzipiell ist die ganze Handarbeits- und Hausarbeitsgeschichte ja was, was alle Menschen tun können. T-Shirt-Recycling und Guerilla-Stricken ist nicht Frauen allein vorbehalten.
Guerilla knitting und Yarnbombing haben ja auch schon wieder einen kritischen Gehalt – ich glaube, das ist einer der Punkte, auf die all die Leute raus wollen, die die allzu rosa-plüschige Weiblichkeitskonstruktion kritisieren.