Goth/Lesbe II: Feminitäten, Subkulturen und Bi-Feindlichkeit
tl;dr: Auch in der lesb-bi-schwul-gothic-Schnittmenge war nicht alles flauschig.
Im ersten Teil dieser Serie habe ich über die Erfahrung, zu mehreren „Randgruppen“ zugleich zu gehören, geschrieben, und wie mir Selbstbezeichnungen und gemeinsame Erfahrungen mir halfen, damit umzugehen.
Es gibt noch ein paar andere Dinge, die ich als Goth-Lesbe erfahren habe und von denen ich erzählen will. Drehte sich der erste Teil um die Einsamkeit und den Ausweg in die Gemeinschaft, so habe ich für diesen Teil ein paar Erlebnisse aufgehoben, wo ich mit dieser Gemeinschaft quer lag und wo es im Getriebe knirschte.
„Schwarz geworden“ bin ich erst 1998: damals habe ich ganz unverhofft Gothic für mich entdeckt. War ich eigentlich in der Hoffnung auf die große, Berichten zufolge tolle Frauenszene hergezogen, so stürzte ich mich im ersten Semester mit vollem Engagement kopfüber ins Studium und ins literarische Leben, dann in die schwarze Szene – und dann erst traf mich der Schock, was für ein wenig freundlicher Ort die Lesbenszene für feminine Frauen war, mit voller Wucht. Schock, das Gefühl von Nichtexistenz (Tania Krings beschreibt es recht eindrücklich in ihrem Beitrag zu „Femme!“) und das Gefühl von Fremdheit und Einsamkeit stürzten mich in eine Krise, aus der ich mich erst nach und nach befreite, als ich, wie beschrieben, die Erfahrung gemacht hatte, daß es anderen genauso ging.2002 gründete eine damalige Bekannte von mir eine Mailingliste für Gothiclesben, und ich gründete den queeren Gothicstammtisch. Später gab es auch eine Zeitlang queere Gothic-Parties; an einer war ich beteiligt. Es ist nicht falsch zu sagen, daß eine kleine schwullesbische Gothic-Sub-Subkultur entstand.
Ich lernte auch schwule Gothics kennen, und ich gewann den Eindruck, daß deren Reibungspunkte mit der Szene etwas anders gelagert waren als die der lesbischen Gothics; und nur zu letzteren kann ich etwas sagen, weil ich sie wahrnahm.
Zum einen war da ein herber Clash der Wertungen von Weiblichkeit: Wo femmes in der Lesbenszene mit Nichtachtung bis Feindseligkeit behandelt wurden, wurde unter Gothic-Lesben – wohl auch aus Abgrenzung gegen die Mainstream-Lesben – Feminität zur Norm, bis zu dem Punkt, wo Maskulinität heftig abgelehnt wurde; eine Entwicklung, die ich allein schon aus meiner Solidarität mit gothic butches (die ich auch kannte) heraus blöd fand. Aber nicht nur aus diesem Grund widerstand mir die gruftige Hyperfeminität: Meine eigene Feminität war nie so ungebrochen, und ich fühlte mich stellenweise „nicht feminin genug“; z.B. in den Zeiten nicht, als ich kurze Haare trug und deshalb maskuliner gewertet wurde, oder als ich mir kein BVG-Ticket leisten konnte und zum daraus resultierenden Fahrradfahren (ungruftige, strapazierfähige) Hosen einfach praktischer fand.
Auch wenn ich mich als feminin verstand und Feminität feierte und kultivierte, mußte ich deswegen noch lange nicht darauf verzichten, hegemoniale Vostellungen von Weiblichkeit und Gepflegtsein („Schamhaare? Iiiiih!“) zu kritisieren.
Ein ständiges Streitthema war weibliche Bisexualität.1 Auf der Gothiclesben-Mailingliste waren etliche bisexuelle Frauen, die meisten von ihnen waren in Beziehungen mit Männern, und nicht selten reagierten die Lesben gereizt, wenn gefühlt jeder zweite Satz mit „mein Freund“ anfing.
Im Mainstream der Gothicszene war weibliche Bisexualität „schick“; so nehmen es auch die Frauen wahr, die River Tucker für ihren Artikel über Gothiclesben in der L-Mag 4/2007 interviewt hat. Und sie wurde dem ‚male gaze‘ gerecht inszeniert, etwa wie in diesem Artikel über mediale Repräsentation von Bi-Frauen beschrieben.
Bei den lesbischen Frauen, einschließlich mir selbst, nahm ich eine große Angst wahr, nicht genauso ernst genommen zu werden wie ein männlicher Partner, eine große Angst, verlassen zu werden und natürlich war da stets das Thema Monogamie mit auf dem Spielplan – die meisten Gothiclesben, die ich kannte, wünschten sich eine langfristige, monogame Beziehung. So einige Gothiclesben erlebten mit Frauen aus der Gothicszene, die sich als bi bezeichneten, herbe Enttäuschungen (mich eingeschlossen).
Ich möchte damit nicht sagen, daß mit Bisexualität etwas verkehrt ist; vielmehr: Das Konzept von weiblicher Bisexualität, wie ich es damals in der Gothicszene vielfach erlebte, fand ich hochproblematisch, und zwar deshalb, weil das gängige Konzept „Sie (mit Mann zusammen) sucht Sie“ lautete, wobei die Beziehung mit dem männlichen Partner als „die eigentliche“ galt und die Beziehung mit der Frau als sekundäre, „uneigentliche“, und die Privilegien einer Beziehung, die allgemein als hetero wahrgenommen wurde (oft auch von den Beteiligten selbst), überhaupt nicht reflektiert wurden.
Die „no bi“-Schlußfolgerung und die Vorurteile gegen Bisexualität, die viele meiner Mit-Gothiclesben daraus folgerten, wollte ich jedoch nicht mittragen. Ich steckte – und stecke noch – in einer Zwickmühle, was diese Erscheinungsform von Bisexualität angeht.
Was auch immer wieder kam (und kommt, wenn wir gruftigen queers öffentlich in Erscheinung treten): der Anwurf „wozu braucht Ihr denn eigene Veranstaltungen, könnt Ihr nicht auf normale schwarze Veranstaltungen/normale schwule Veranstaltungen gehen?“ Meine Antwort: Die meisten von uns tun das! Aber viele wollen auch einen Ort, an dem sie beides sein können. Und es tut, wie im ersten Teil beschrieben, unheimlich gut, andere zu haben, die diese spezifischen Schnittmengen-Erfahrungen teilen, und einen Raum zu haben, in dem darüber gesprochen werden kann.
Bin ich inzwischen noch goth? Ich weiß es nicht. Ich style mich nicht mehr so, ich höre nur noch sehr gelegentlich gruftige Musik, ich kann mit so einigen Sachen aus der Subkultur noch was anfangen. Aber außer meinem liebgewordenen Gothicstammtisch frequentiere ich die Szene nicht mehr, weder im realen Leben noch virtuell; das hat auch mit verschobenen Prioritäten und sich verändernden Vorstellungen von Freizeitvergnügen zu tun. Die Zeiten ändern sich. Und doch, es ist mir wichtig, diese Erfahrungen mal niederzuschreiben, damit vielleicht die, die nach mir kommen, daraus was mitnehmen können.
- Ich handle das jetzt relativ verkürzt ab, weil ich plane, diesbezüglich nochmal einen eigenen Artikel zu schreiben. ↩
Was ich ebenfalls problematisch finde: Dass lesbiqueere Femininität in lesbischen Kontexten gern pauschal mit Bisexualität in dem von dir beschriebenen Sinne verknüpft und dann aufgrunddessen ausgegrenzt/abgewertet wird.
Interessant sind auch die diversen Parallelen zwischen Klischeebildern von Bisexualität und Femmeness – was mir übrigens überhaupt kein neues Thema zu sein scheint (wenn man von Berichten aus amerikanischen Butch-Femme-Kulturen der 1940-60er ausgeht).
Für detailliertere Ausführungen fehlt mir grad die Zeit, aber ich bin auf jeden Fall gespannt auf den ausführlicheren Post zum Thema weibliche Bisexualität!
Hallo,
ich finde es sehr interessant Deine Erfahrungen zu lesen, und es erstaunt mich wie intolerant scheinbar die lesbische Szene doch ist. Innerhalb der letzten Jahre habe ich einige lesbische Frauen kennen gelernt und ich muss ganz ehrlich sagen dass es mich erstaunt wie intolerant lesbische Frauen gegenüber heterosexuellen Frauen ist! Man sagte mir, obwohl gegenseitige Sympathie bestand, man bliebe lieber unter sich und wollte keinen näheren Kontakt. Es wäre eine Art „ungeschriebenes Gesetz“und wieso das so wäre konnte man mir nicht so genau erklären (wollten sie vielleicht auch nicht). Aber ich kann nur sagen – merkwürdig finde ich es schon dass man auf der einen Seite gesellschaftliche Toleranz erwartet und auch die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paar, auf der anderen Seite aber ziemlich intolerant ist. Zurecht erwarten homosexuelle Paare die gleichen Rechte, und ich finde es erstaunlich wie intolerant wir als Gesellschaft sind – homophob – aber ich finde auch dass sich Vorurteile nicht abbauen lassen wenn ich mich auf der anderen Seite zurück ziehe und mich nur mit „Gleichgesinnten“ befreunde/treffe – was auch immer. Ist es nicht völlig egal wie wir sind? Reicht es nicht wenn ich als Mensch in unserer Gesellschaft sowieso katalogisiert, einsortiert werde? Das wäre ja fast so als würde ich nur mit Menschen Kontakt haben wollen die ebenfalls Handarbeiten, gerne lesen, philosphieren und das Fernsehprogramm boykottieren. Denn die Idee „unter sich“ bleiben zu wollen weil man ja „die gleichen Interessen“ hätte finde ich merkwürdig – ich habe mit meinen Freunden nur ca 10% gleiche Interessen, der Rest ist ein „Kessel Buntes“. Dennoch kann ich auch positives berichten – homosexuelle Männer sind da deutlich aufgeschlossener!
Liebe Grüße
Anja
Hallo Anja!
Ich habe ein Problem mit Deinem Kommentar.
Da schreibe ich einen differenzierten Beitrag zu einem superkomplexen, konfliktbeladenen Thema und Du kommst, so nehme ich das wahr, her und kippst ab, wie Dir Lesben mal auf Deinen privilegiengestärkten Schlips getreten sind?
Nee. Bitte geh erst einmal und sensibilisier‘ Dich. Lies mal nach, was straight privilege ist. Wenn Dir das zuviel Arbeit ist: GTFO.
hey ryuu,
ich schreib jetzt nicht viel, vielleich kurz so… ich bin jens, arbeite beim rbb-fernsehen und mache immer die sendung zum berliner csd. wir haben da immer kleine portraits und würden gern mal, mh, wenn möglich, mit einer goth-lesbe (ist das korrekt geschrieben) reden. naja, vielleicht meldest du dich mal. gruss, so denn, jens
Hallo Jens,
ich wohne nicht mehr in Berlin, und ich bin auch nicht mehr in der Szene unterwegs. Aber ich leite das Anliegen mal weiter an Leute in Berlin.
LG ryuu