Der Haß auf die anderen
**Triggerwarnung: Ich beschreibe Erfahrungen von (sexualisierter) Gewalt und Diskriminierung.**
**tl;dr: In meiner Kindheit und Jugend war ich Außenseiterin und habe deswegen Gewalt und Ausgrenzung erlebt.**
Gerade las ich dieses taz-Interview mit einem Überlebenden des Brandanschlags von Mölln. Und das brachte einige Erinnerungen zutage, denn die Mechanik ist ähnlich: Nicht-glauben, Nicht-ernst-nehmen, die Schuld den Opfern zuschieben.
Meine Schulzeit war von der zweiten bis zur vierten Klasse und dann nochmal von der 8. bis irgendwann in die Oberstufe ein sozialer Alptraum. Ich war der weirdo, das Kind, das sich nicht anpaßt, die Jugendliche, die komische Klamotten trug und nur Klassik hörte.
In der Grundschule verbrachte ich zeitweise meine großen Pausen damit, vor der Bande Jungs, die es auf mich abgesehen hatte und ständig versuchte, mich zu verdreschen, wegzulaufen. Außerdem wurde ich von anderen Jungs mit so ziemlich allem aufgezogen, was sich gerade ergab. Es waren immer die Jungs, mit denen ich aneinandergeriet.
Mir wurde nicht geglaubt. Lehrer und andere Eltern schritten nicht ein. Die ständigen Beleidigungen und Sticheleien wurden abgetan mit „was sich liebt, das neckt sich“. Wenn ich zurückschlug, brachen die Eltern der anderen Schüler in Hysterie aus. Einmal, als ich einem Mitschüler ein paar tiefe Kratzer verpaßte, bekam der anschließend eine Tollwutimpfung verpaßt. Und ich bekam Ratschläge, wie ich mich zu verhalten hätte: nicht provozieren lassen, zum Beispiel.
Ich war ein kleines, unsportliches Kind. Ich spielte nie mit Barbies, ich zog Bücher, Malzeug, Lego und meine Gitarre vor, und ich kletterte gern auf Bäume. Vielleicht war das der Grund, weshalb die Jungs mich so mobbten.
Es besserte sich eine Zeitlang, als ich mit Beginn der 5. Klasse nach Karlsruhe auf ein Mädchengymnasium ging. Das waren die dreieinhalb besten Jahre meiner Schulzeit. Keine Sticheleien, keine Gewaltandrohungen. Ich war nicht superbeliebt, aber ich hatte sowas wie Freundinnen. Ich wurde gut in der Schule, bis auf Mathe (wo es dauerte, bis wir einen Lehrer bekamen, der mich nicht für unfähig hielt – IIRC verschob sich dann sogar meine Mathenote von einer 5 in Richtung 3), sogar meine Sportnote erreichte eine Zeitlang wenigstens Mittelmaß.
Dann zogen wir in die Pfalz, nach Rohrbach bei Landau, als ich mitten in der 8. Klasse war. Ich wechselte auf ein gemischtgeschlechtliches Gymnasium. Und die Schulwege wurden wieder zum Alptraum. Diesmal nicht direkt wegen meiner Mitschüler_innen (die zogen mich auf wegen meiner schrecklichen Klamotten, aber waren meistens nicht offen feindselig), sondern wegen der Leute, mit denen zusammen ich denselben Zug benutzte – alles Leute, die auf weiterführende Schulen in Landau gingen. Auch da waren es wieder die Jungs, die auf mich losgingen, mich beleidigten, mich bis zur Weißglut reizten. Einer versuchte über Monate hinweg mehrfach, mich zusammenzuschlagen – irgendwie entkam ich dem immer gerade noch, einige Male nur mit handfester Gegenwehr – und drohte an, mich zu vergewaltigen. Ich war jedesmal froh, wenn ich nicht zur 1. Stunde hin mußte oder mittags nicht zur selben Zeit zurück mußte wie diese Jungs. Der Dorfbahnhof wurde ein Ort der Angst.
**Warum?** Ein paar von vielen möglichen Vorwänden: Ich war gut in der Schule, vor allem in Latein. Ich war die Tochter einer alleinerziehenden geschiedenen Mutter, also im damaligen Verständnis der meisten Leute im Dorf ja eigentlich asozial – aber ich ging aufs Gymnasium. Ich sprach keinerlei Mundart, mein Hochdeutsch wurde wohl als arrogant empfunden. Und ich war eine Zugezogene aus der Stadt.
Mein Coming Out war damals noch Jahre entfernt, aber wahrscheinlich entsprach ich auch nicht so richtig gängigen Vorstellungen von Weiblichkeit und benahm mich nicht „mädchenhaft“. Ich hatte z.B. keinen Freund und zeigte auch kein Interesse an Jungs oder Sex.
Meine Mutter versuchte, als die Vergewaltigungs-Androhung kam, die Polizei einzuschalten. Die Reaktion war ein „ha, was solle mer denn mache“ (hochdeutsch: „Ja, was sollen wir denn machen?“).
Es hörte auf, als meine Mutter sich gegenüber diesem Typen mal in Judo-Kampfstellung hinstellte und ordentlich losbrüllte. Ich war zwar weiterhin absolut uncool und hatte keinerlei Freunde, aber die ständigen Gewaltandrohungen und die Beleidigungen hörten auf.
So ganz hörte die Ausgrenzung erst auf, als ich mit 18 zum Studieren wegzog. Und es hat gedauert, bis ich endlich Freunde fand. Es hat vor allem gedauert, bis ich begriff, daß meine Einsamkeit nicht an mir lag und daß ich durchaus so sein darf, wie ich bin.
Nach Rohrbach möchte ich nicht zurückziehen, auch wenn dort das Haus meiner Mutter und meiner Großmutter steht.
Und wenn ich Artikel wie den oben verlinkten lese, dann kommt all das hoch. Der Unglaube, die Schuldzuschreibungen an die Opfer, die Ausgrenzung, das „geh doch weg“, die Untätigkeit von Polizei oder anderen Instanzen, die in diesen Situationen Autorität gehabt hätten und etwas hätten tun können. Nur daß es im Fall dieser Anschläge noch tausendfach schlimmer sein muß als das, was ich erlebt habe.
Berührt mich sehr. Fühl dich gedrückt.
Danke für diesen wirklich berührenden, nein, ganz tief ‚reinhauenden Beitrag. Danke, für Deinen Mut, das in aller Öffentlichkeit zu schreiben.
Ich muss gestehen: Ich wäre dazu zu feige.
Und natürlich stelle ich mir wieder einmal die Frage, wo die grundliegenden Defekte unserer Gesellschaft liegen. Denn die Mechanismen bei der Hetze gegen „Außenseiter“ sind immer dieselben
Danke für deinen Mut!
Ich bin in der Schulzeit auch gemobbt worden. Als du von deiner Mutter schriebst, die gebrüllt und eine Karatepose angeschlagen hat, musste ich dran denken, wie meine Mutter einen meiner Peiniger in den Dorfbrunnen geworfen und unter Wasser getaucht hat. Danach musste sie die Armbanduhr des Jungen ersetzen aber ich hatte vor dem für immer meine Ruhe. Yeah – Mütter rocken das Haus!
Hi Ryuu,
danke für den Text. Und eigentlich schön zu lesen, dass du diese Phase endgültig überwunden hast. Ich war in meiner Schulzeit mal Täterin und auch mal Opfer von Hänseleien und Kloppereien. Leider scheint das bei Kinder und Jugendlichen dazuzugehören, wenn ich mir mein Patenkind so anschaue, werden da ständig Allianzen und Gegen-Allianzen gebildet. Inzwischen habe ich mich mit Mobbing auch auf einer therapeutischen Ebene auseinandergesetzt. Mobbing kommt in vielen Unternehmen und Institutionen vor, man kann aber dafür sorgen, dass keine Mobbing-Kultur entsteht wenn man das Thema aktiv angeht. Der Weg ist allerdings noch ziemlich weit, wie ich fürchte.
<3