Klein sein und so.

Vor einiger Zeit sagte ich mal:

Ich bin stolze 1,56m groß. Manchmal wünsche ich mir, größer zu sein. Oft schätzen Menschen mich auch größer, muß so ein Körpersprach-Ding sein.

Nicht passende Kleidung ist so eine Sache. Hosen sind das geringste Problem. Hosen lassen sich leicht kürzen. Zu lange Pulli-, Blusen- und Shirtärmel sind dann schon eher ärgerlich, aber auch da finden sich Lösungen. Das Angebot an Kurzgrößen ist bei den meisten Händlern auch eher beschränkt, gerade die preiswerten Sachen gibt es dann nicht in Kurzgrößen.

Was mich aber wirklich nervt und unpraktisch ist, sind ganz andere Sachen:
An Sachen nicht rankommen. Das Vorhanden- und für mich Benutzbarsein von Trittleitern würde da sehr helfen, aber wann ist schon mal sowas vorhanden? Es nervt, daß Standardmöbel für mich oft furchtbar unergonomisch sind und ich z.B. meinem Chef echt auf die Nerven gehen mußte, damit ich einen Tisch bekam, der sich niedriger einstellen ließ (höhenverstellbare Möbel ftw, nur müssen sie sich dann auch wirklich so weit runterstellen lassen, daß sie für mich passen). Oder das oberste Regal im Supermarkt, das für mich quasi unerreichbar ist. (In Bibliotheken gibt es dafür oft Tritthocker. Warum nicht auch in Supermärkten?)

Es nervt, daß Einkaufswagen inzwischen oft so groß und tief sind und Kassen so schmal gebaut sind, daß ich nicht seitlich neben dem Wagen stehen und reingreifen kann – über den Griff gebeugt, komme ich nämlich im Zweifelsfall mit einem Rucksack auf dem Rücken nicht mehr an Sachen, die ganz unten im Wagen liegen. Körbchen sind dann wieder, obwohl sie meistens für mein Ein-Personen-Haushalt-Einkäufe reichen würden, stressig, weil an den Kassen meist zu wenig Platz ist, seinen Kram in Ruhe einzupacken und man die Körbchen vorm Bezahlen abgeben muß.

Es nervt, wenn ich Displays von Automaten, die über meiner Kopfhöhe angebracht sind, nicht lesen kann, weil der Blickwinkel von unten zu steil ist.

Es nervt, daß neuerdings immer mehr Tresen von Bäckereien, Verkaufsständen, Eisdielen etc. so hoch sind, daß ich nicht mehr obendraufsehen kann, geschweige denn die Oberseite erreichen.

Was ich aber so richtig hasse: die sozialen Konsequenzen. Etwa, wenn Leute mich wegen meiner Größe niedlich finden. Das macht mich fuchtig! Es ist gar kein Ding, wenn jemand meine Nase niedlich findet, bei meiner Größe ist das was anderes – meine Größe beschert mir im Alltag Nachteile und ich bin auch viel zu oft damit aufgezogen worden.

Es nervt, wenn körperliche Größe mit Autorität assoziiert wird.
Es nervt erst recht, übersehen zu werden, bzw. ständig mit dieser Befürchtung zu leben.

Es nervt, in ganz alltäglichen Situationen um Hilfe bitten zu müssen, etwa, wenn ich in der Firma nicht an die Müslischalen komme, weil sie im Oberschrank hinten im zweiten Fach stehen, wo ich schon nicht mehr rankomme, weit und breit nichts, auf das ich sicher draufsteigen kann, und ich dann erst einmal durchs Büro rennen und eine größere Person suchen muß, die mir diese eine popelige Schüssel aus dem Schrank holt (denn etliche Kolleg_innen sind auch nicht viel größer als ich). Etwas, das sich vermeiden ließe, wenn es eine frei zugängliche Trittleiter gäbe.

Es macht mich aggressiv, wenn Leute sich (z.B. beim Schlangestehen) so dicht an mich ranstellen, daß ich keinen Schritt zurück machen müßte, um ihnen eins mit dem Ellbogen zu verpassen. Ob die das auch mit größeren Menschen machen?
Der Gipfel der Unhöflichkeit: Wenn Leute einfach über meinen Kopf hinweg greifen, als wäre ich nicht da.

Behindert ist mensch nicht. Behindert wird mensch. Unter Umständen auch als gängigen Definitionen zufolge nichtbehinderte Person. Viele dieser Nervfaktoren ließen sich mit ganz simplen Handlungen abstellen.

Es gibt auch Situationen, wo Klein-Sein praktisch ist: etwa in kleinen Autos (ich sage nur: Fiat Panda), im Zug oder im Flugzeug. Aber auch da finde ich Breitmachmacker-Verhalten total daneben und möchte, daß Menschen meinen Raum respektieren.

13 thoughts on “Klein sein und so.

  1. Als 1,95 m großer Typ ist das ein für mich schwer vorstellbarer Zustand. Aber ich habe schon oft darüber nachgedacht, da gerade mich kleinere Personen oft um Hilfe bitten oder ihre geringe Körperhöhe beklagen.

    Ich sehe ein, dass ich “positiv” diskriminiert werde und mir gesellschaftliche Priviliegen zukommen. Die will ich aber nicht. Komisch finde ich es, in einer Runde “großer Typen“ zu stehen. Irgendwie gehöre ich dazu und gleichzeitig nicht.

    Das Ding mit der Autorität fällt mir manchmal auf die Füße, weil meine Vorschläge überbewertet werden und Menschen Angst haben, mich zu kritisieren. Angst vor Kritik bringt mich nicht weiter. Das macht mich nur merkwürdig, isoliert und manchmal pflegen Menschen heimlich eine Feindschaft zu mir.

    Vielleicht können wir kleinen und großen Menschen einen Weg finden, damit gemeinsam umzugehen? Auf jeden Fall sollten wir diese Gedanken festhalten und mittelgroßen Menschen vermitteln.

  2. Du sprichst mir aus der Seele! Ich bin nur 2cm größer als du und kann über die gleichen Dinge klagen. Am meisten nervt es mich in engen Einkaufsstraßen: Ständig wird man angerempelt und übersehen. Außerdem das Problem einiger Leute, sich von kleineren Leuten etwas sagen zu lassen, und wenn es sich dann auch noch um eine Frau handelt..!

  3. So sehr, so sehr. Ich könnte jedes Mal Leuten den heißen Topf um die Ohrem pfeffern, wenn ich gerade koche und mir von meinem Besuch blöde Sprüche anhören muss. Weil meine Mikrowellengroße Kochplatten-Herd-Fusion nunmal auf ner Kommode steht und ich da nicht richtig ran komme und umrühren oder würzen kann, wenn ich mich nicht auf nen Hocker stelle. Son Badezimmerhocker, wo sich auch kleine Kinder drauf stellen, wenn sie zähneputzen. Und JEDES MAL!! „Ooooh, du kannst ohne Hocker nicht kochen? Wie süüüüüüüüß!! Hihihi“ Boaaaah! Wie mich das aufregt! Ganz super: Türklingeln in Mehrparteienhäusern. hab das zwar noch nie als Problem gehabt, aber manche Klingeln sind so hoch angebracht, dass ich da nicht mehr rankommen würde, wenn ich da mal klingeln müsste. Und Briefkästen. Einbauküchen. Uargh!

    __< Ich fühle mit dir!

  4. Oje, das kenne ich auch alles. Vor allem dieses über meinen Kopf greifen hasse ich wirklich wie die Pest. Dann komme ich mir vor wie ein Kleinkind, jemand, den man übersehen kann, weil er absolut nicht wichtig ist.

    Am schlimmsten war das mal in Spanien, als ich in eine Bar einkehrte. Ich hatte Hunger und Durst und die Theke war so hoch, dass ich kaum drüber sehen konnte -.- Und zusätzlich dazu bestellten alle Leute, die nach mir kamen, einfach über meinen Kopf hinweg, statt mal drüber nachzudenken, dass ich 1. vor ihnen da war und 2. als Nicht-Muttersprachlerin (erkennbar an meinem Peregrinaoutfit) vielleicht eher Hilfe gebrauchen könnte, statt dass man mich ignoriert.

    Ich hasse es wirklich, so klein zu sein. Vor allem, wenn mir Leute über den Weg rennen, die wie du noch 2 Zentimeter kleiner sind als ich. Wenn so jemand neben mir steht und ich ihm auf den Kopf sehen kann, denke ich oft: „Meine Güte, ist der/die so klein.“ Und dann wird mir klar, dass ich genau so auf alle anderen wirke. Jeder kann MIR auf den Kopf kucken. Und das ist ein beschissenes Gefühl.

  5. Ist es denn nicht schön, dass eben nicht alle Menschen gleich groß sind? Ich selbst bin für eine Frau verhältnismäßig sehr groß – das hat auch nicht unbedingt Vorteile; Schuhe gibt es meist nur bis Größe 40, Hosen sind generell viel zu kurz (weshalb ich mittlerweile sogar dazu übergegangen bin, keinse Hosen mehr zu tragen, sondern nur noch Kleider und Röcke). Bei vielen Gelegenheiten wird man eingequetscht und gesagt – man solle sich nicht so breit machen…

    Ein Punkt allerdings wundert mich; Du findest es unhöflich, wenn jemand über dich rübergreift, um irgendetwas zu erreichen – darüber habe ich nie nachgedacht. Ich hätte das wahrscheinlich auch gemacht, aber jetzt überlege ich erstmal

  6. Es geht in meinem Post nur ums Klein-Sein. Übers Groß-Sein kann ich nichts sagen, ich habe damit keine Erfahrung, und ich kann mir nur ausmalen, daß gerade große Frauen auch oft seltsam behandelt werden.

    Unterschiede sind wunderbar. Trotzdem will ich in der Welt klarkommen und für voll genommen werden. Das gilt auch für Bedürfnisse wie Dinge erreichen und Respekt für meinen Raum.

    Und wenn ich Dich zum Denken gebracht habe, dann hat dieser Artikel ja sein Ziel erreicht.

  7. 1,53m, kein Spaß. Auch kein Spaß: Freundin von mir ist 1,86m. Versuch mal, mit ihr Schuhe oder Hosen kaufen zu gehen. Die zum Teil angsterfüllten Blicke der Männer sind zum Teil schon fotografierenswert, aber echt nervig (ich starre meistens böse zurück). Ich weiss von ihr, dass wenn man zu groß für die anderen ist, es auch nicht einfach ist. Danke für den Eintrag, du sprichst mir aus der Seele!

  8. Oh ja, wegen geringer Körpergröße nicht ernst genommen werden ist schon großartig. Mir ist es dieses Jahr auf Festivals mehrfach passiert, dass mir der Kopf getätschelt wurde. Ohne vorher ein Wort zu wechseln, ohne dass die Menschen mich kannten … Äh? Auf Festivals mögen die Umgangsformen zwar etwas lockerer sein, aber ein unvermitteltes „Aww, das ist ja putzig, das fass ich jetzt mal an!“ muss trotzdem nicht sein.

  9. @Sel: Konzerte und Festivals können in puncto Sexismus und Kleine-Menschen-Benachteiligen nochmal besonders kacke sein.

  10. meine mutter ist 1,52m, ich hab zum glück noch zehn zentimenter von meinem vater dazubekommen, kenne das problem aber auch. vor allem das nicht ernst nehmen und niedlich finden ist schrecklich. wie oft ich schon den satz gehört habe:“das ist so niedlich, wenn du dich aufregst“!! dazu kommt noch, dass ich dick bin und dann helfen auch kleingrößen bei klamotten oft nicht viel (dafür hab ich riesige füße und kaufe mittlerweile lieber männerschuhe) daher danke für deinen artikel!

  11. Ich bin nochmal 3cm kleiner als Ryuu und ich lebe auch mit dem Bewusstsein, deutlich kleiner zu sein. Aber ein paar Sachen, die hier beschrieben sind, hab ich zum Glück nicht ganz so erlebt (was für furchtbare Menschen!). Es kommen schonmal Leute auf mich zu und sagen „du bist aber klein!“ (Danke Cpt Obvious), aber aufm Kopf tätscheln, nee. Ich werde auch als niedlich wahrgenommen, empfinde das aber zum Glück als Kompliment. Ist natürlich die Frage, ob ich mich da nur angepasst habe. Aber manchmal muss ich mich schon durchsetzen, damit es nicht zusätzlich zu „und so harmlos!“ kommt. Das Helfenlassen bei hohen Regalen ist zwar supernervig, aber daran hab ich mich gewöhnt und finde die Vorteile beim Kleinsein dann ausreichend ausgleichend. Klar habe ich mir auch öfter Trittleitern gewünscht, aber finde das Unterschätzen oder fehlende Respektieren einer Persönlichkeit aufgrund der äußerlichen Erscheinung weitaus dramatischer als hohe Regale im Supermarkt.

    Trotzdem anstrengend: zu hohe Spiegel. Im Badezimmer muss ich auf Zehenspitzen stehen und sehe meine Nase, obwohl meine Mitbewohner*innen gar nicht sooo groß sind 🙁

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