Körpernormen- und Geschlechtsterror: Beim Laufen.

Ich laufe gerne, im Sinne von Jogging. Es ist eine praktische Sportart – ich brauche dazu nur vor meine Tür zu gehen -, die Ausstattung ist vergleichsweise preiswert und es ist vergleichsweise wenig zeitaufwendig. Es ist darüber hinaus für mich tolle Medizin gegen Rücken- und Schulterverspannungen, und es hilft mir wunderbar, den Kopf klarzukriegen und frische Luft zu schnappen. Einfach Trainingsklamotten anziehen und losrennen, das mache ich zur Zeit sehr gerne. Ich bin ziemlich dankbar, daß ich joggen kann, denn eine Zeitlang konnte ich das wegen Fersen- und Kniebeschwerden nicht.

Was mich aber ankekst, sind die dummen Kommentare, die ich ernte. Regelmäßig. Fast ausschließlich von Typen. Meistens Kommentare über meine Geschwindigkeit (oft in Form von „Hopp hopp“ oder „schneller!“-Rufen), manchmal unverständliches Zeug, heute nachmittag – am hellichten Tag! – wurde ich sogar mit irgendwas beworfen (ich weiß nicht genau, was es war, ich habe es nur am Rücken gespürt). Ich frage mich, ob norm-schlanke able-bodied Cis-Typen beim Sporttreiben mit derselben Selbstverständlichkeit kommentiert werden.

Ich bin nun zwar weiblich, aber sonst relativ privilegiert. Ich bin ganz eindeutig weiß, mein Gewicht entspricht laut Waage dem Normbereich (auch wenn ich gängigen Schlankheitsnormen deswegen noch lange nicht voll entspreche – aber ich empfinde mich auch nicht als dick), ich passe als Hetera, ich habe keine sichtbare Behinderung. Ich frage mich, ob Leute, die z.B. gängigen Schlankheitsvorstellungen weniger entsprechen als ich, noch mehr von solchen dummen, übergriffigen Bemerkungen abbekommen. Ich halte es für einen Glücksfall, daß mir das bisher den Spaß am Laufen nicht verdorben hat – aber ich kann mir vorstellen, daß es Menschen gibt, denen solche Kommentare das Laufen vermiesen oder zumindest ihre Freiheiten (z.B. bei der Wahl von Zeitpunkt oder Trainingsstrecke) massiv einschränken.

Es ist immer dasselbe. Weibliche Körper sind in unserer Kultur ständiger Begutachtung und Bewertung ausgesetzt und es scheint vor allem für Männer als legitim angesehen zu werden, jederzeit eine Meinung über weibliche Körper zu haben und diese auch unaufgefordert kundzutun.
Was es allerdings ist, das dafür sorgt, daß ich verstärkt beim Joggen solche Kommentare abbekomme, das frage ich mich noch. Es ist jedenfalls dieses ständige Bombardement mit Begutachtungen und Bewertungen, verbunden mit dem medialen Bombardement mit Körpernormen, die dafür sorgt, daß ich solche Bemerkungen in ihrer Häufigkeit als Terror betrachte.

Das Laufen habe ich mir übrigens mühsam erarbeitet, gegen miese Schulsporterfahrungen und Ratschläge wie „Du atmest falsch, deshalb bekommst du Seitenstechen“ an. (Das war, wie ich heute weiß, Bullshit: Ich bekam Seitenstechen, weil ich untrainiert war und für diesen Trainingszustand viel zu schnell laufen sollte.) Ich habe mir mühsam erarbeitet, zwei Kilometer am Stück laufen zu können, in meiner Geschwindigkeit, mit meinem Rhythmus, mit Trainingsdauern, die mir Spaß machen und gut tun. Auch das lasse ich mir nicht durch unaufgeforderte Bewertungen und Ratschläge kaputtmachen.

Und an euch, die ihr das jetzt runterspielen wollt: Ich finde das nicht witzig. NIEMAND hat mich beim Laufen unaufgefordert zu kommentieren. Beim Joggen will ich keine Kontaktaufnahme von irgendwem, ich will in Ruhe laufen. Punkt.

Für Kommentierende: Gute Ratschläge sind ausdrücklich unerwünscht.

4 thoughts on “Körpernormen- und Geschlechtsterror: Beim Laufen.

  1. Angekekst… schön geschrieben. Allerdings ist das beschriebene Szenario mitnichten geschlechtsspezifisch. Jedenfalls nicht beim Läufer… beim unaufgeforderten Kommentierer allerdings schon, die sind nahezu ausschließlich männlich.

    Ich habe mir meine Lauferei ebenfalls hart erarbeiten müssen und bin mittlerweile recht ordentlich unterwegs, aber die ersten Monate waren harte Arbeit. Die Krönung war allerdings ein 3-Zentner-Kerl, der mir vor einem Restaurant mit All-you-can-eat-Angebot stehend hinterher rief: Das geht auch schneller, Dickerchen! Mir ist der Kragen geplatzt, bin stehen geblieben, umgedreht und habe ihn vor seinen versammelten Freunden gefragt, wieviele Meter er ohne Herzinfarkt, Schnappatmung oder knirschende Knochen laufen kann. Er wollte es dann nicht mehr weiter ausdiskutieren oder gar herausfinden…

    Ich finde, dass JEDER, der es schafft, seinen Hintern hochzukriegen, eine Sportart zu betreiben und damit etwas für seine Gesundheit zu tun, Respekt verdient hat. Es gibt viel zu viele Gegenbeispiele…

    In diesem Sinne, lass es Dir nicht vermiesen! Du tust es für Dich und niemand anderen.

  2. Hm, interessant, daß das eben nicht nur Frauen passiert mit den Kommentaren.

    Zu deinem vorletzten Absatz: es ist eigentlich niemandes Angelegenheit, ob ich nun Sport treibe oder nicht. Es gibt wohl genug Leute, die mit schlechtem Gewissen („ich weiß, eigentlich sollte ich, aaaber …“) keinen Sport treiben oder Sport treiben, weil es gesund/„gut für die Figur“ sein soll, aber keinen Spaß dabei haben. Gängige Fitness- und Gesundheitsdiskurse sind nochmal eine eigene Form von Körpernormierung, da finden auch viele Dinge statt, die früher in der christlichen Religion zuhause waren (inclusive „Sünden“- und Bußrhetorik, Heilsversprechen, Reinheitsdenken usf).
    Mir tut’s gut, das ist das Entscheidende beim Laufen.

  3. Bin ganz Deiner Meinung. Jede(r) muss selbst für sich entscheiden, was gut für sie/ ihn ist. Und wenn kein Spass dabei ist, ist es nicht nachhaltig (noch so ein Trendbegriff).

  4. Ich gehe auch 2 mal in der Woche in den Wald zum Joggen. Die Natur und natürlich der Aspekt Fitness sind gute Argumente für ein bisschen Bewegung. Dabei habe ich auch als Mann schon den einen oder anderen Kommentar bekommen. Diese Kommentare sehe ich jedoch nicht als „böse“ etc an, sondern bei Rufen wie Hop Hop lasse ich den Leuten ihren Spaß.

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