Theorie ist lebenswichtig.

Inhaltswarnung: komplexe Sprache, u.U. Jargon, hastig hingeworfen. Wenn dieser Post nicht allen verständlich ist, dann liegt es unter Umständen auch an inhaltlicher Komplexität. Ausführen und vereinfachen kann ich das später immer noch.

Manchmal werde ich ja gefragt, warum ich meine Erfahrungen so systematisieren muß, warum ich jedesmal so ein großes Faß Theorie aufmachen muß.

Ja, eigentlich wäre es ja schöner, nicht alles säuberlich in ein System pressen zu müssen, nicht alles zu sortieren, schubladisieren und so, oder? Das Leben so bunt und vielfältig sein zu lassen, wie es ist und mich einfach so dran zu freuen.

Das Problem sind andere System: Herrschaftssysteme, Machtverhältnisse, Privilegien, Paradigmen. Menschen denken entlang der Axiome, die ihre Kulturen ihnen zur Verfügung stellen. Können wir denken, wofür wir keine Begriffe haben?
Und dann kommen solche Momente, in denen ein Unwohlsein mich anfällt, ein Mich-Reiben an etwas. Diffus zuerst, bis ich festmachen kann, was es eigentlich betrifft, bis ich die Verhältnisse benennen kann, die am Werk sind und beschreiben kann, an was genau ich mich reibe, welche Axiome ich gerade (zum erneuten Mal) dekonstruieren muß. Zu oft sind es hartnäckige, unzutreffende Unterstellungen, die mir zu schaffen machen – wen ich wohl begehre, wie ich wohl eine Partnerschaft leben will (und daß ich überhaupt eine will), was mich interessieren müsse, Vermutungen über meine gender-Identität aufgrund meiner Sexualität und umgekehrt und und und.

Manchmal, wenn ich dann in geschriebener Form denke, ein solches Unwohlsein seziere, die Machtverhältnisse, Axiome und Paradigmen beschreibe, die ich da am Werk sehe, wird das mißverstanden – als „mir geht es schlecht“, und der Zuspruch, denn ich dann bekomme, ist nicht immer hilfreich. Manchmal verletzt er mich sogar, perpetuiert u.U. Mechanismen, die mich (be)treffen.

Mein Theoretisieren wird manchmal abgewertet, vor allem von Leuten, die selbst nicht von der jeweiligen Kackscheiße betroffen sind. Dabei ist es so lebenswichtig für mich, daß dieses Unwohlsein nicht mein Privatpech ist: es muß nicht so sein. Ich kann es auf Distanz bringen, es trifft mich vielleicht immer noch, aber ich kann anfangen, mich dagegen zu wehren. Es ist kein unerklärliches Gefühl mehr, gegen das ich machtlos bin, mit dem ich mich selbst nicht verstehe, geschweige denn anderen verständlich machen kann, was mich plagt. Es tut gut, Begriffe dafür zu haben. Wenn etwas nicht so sein muß, kann ich zumindest beschreiben, wie es denn anders sein könnte, vielleicht sogar etwas dafür tun, um Alternativen herzustellen – und auf einen Zustand hinarbeiten, in dem das Leben tatsächlich bunt und vielfältig sein darf.