Das Weihnachtsgedöns und ich.

Hatte ich behauptet, daß mir Weihnachten am Allerwertesten vorbeigeht? Well. Ich glaube, ich bin gerade doch etwas ambivalent bei dem Thema.

Weihnachten triggert bei mir eine seelische Disposition an, die mich seit Jahrzehnten immer mal wieder belastet: So ein Gefühl der existenziellen Heimatlosigkeit. Ein Gefühl, als bliebe mir nur, all die Heimeligkeit und Harmonie und auch den materiellen Wohlstand von draußen zu betrachten, wie durch beleuchtete Fenster, während ich draußen im Kalten und Dunklen stehe, alleingelassen, nicht wahrgenommen, unsichtbar… unwesentlich. Ich, die ich zu dieser Zeit gefühlt immer mal wieder in einer Welt gelebt habe, wo nichts in Ordnung war. Eine Familie, zu der ich mehrere Jahre mit ambivalenten Gefühlen fuhr (denn daß es spätestens nach 3 Tagen Zoff gab, wenn alle auf einem Haufen hockten, stand zu erwarten). Keine funktionierende, stabile Partnerschaft. Geld: lange Jahre ein ständiges Angstthema. Freund_innen: alle bei ihren jeweiligen Herkunftsfamilien. Es ist, als wäre dieser ganze Weihnachtsharmoniebesinnlichkeitsmythos dazu angetan, mir das, was in meinem Leben nicht so harmonisch ist, kräftig unter die Nase zu reiben.

Die schwullesbische Community-Legende von der Community als Ersatzfamilie war für mich nicht mehr als eine fromme, unglaubwürdige Legende. Selbst wenn ich so eine Ersatzfamilie je gehabt hätte: Meine LGBTQ-Freund_innen waren zu diesem Termin zuverlässig bei ihren jeweiligen Herkunftsfamilien.

Und zu guter Letzt: Das Fest, das mir eigentlich am hochheiligsten war, das ging im Vorweihnachtsstreß unter. Mir für den Tag der Wintersonnenwende Zeit freizuschaufeln und dann auch Leute zu haben, mit denen ich die Wintersonnenwende feiere, war lange Jahre nur ein schöner Traum. Denn auch die heidnischen Freund_innen waren zu diesem Zeitpunkt oft schon ausgeflogen – wohin? Zur Familie.

Seit ein paar Jahren ist der letztere Mangel behoben. Dieses Treffen ist seitdem ein Glanzpunkt, auf den ich jedes Jahr hinlebe. Weihnachtsgedöns stehe ich trotzdem immer noch ambivalent gegenüber.

Zum einen ist da dieses omnipräsente Mainstream-Fest – das in meiner Familie nicht wirklich gefeiert wird. Ich entziehe mich dem, anderen Leuten „frohe Weihnachten“ zu wünschen und weiche lieber auf neutralere Formulierungen aus, etwa „schöne Feiertage“ oder „schöne Festtage“.

Die Weihnachtsfeiertage sind jedoch die Tage, an denen mal alle von uns Zeit haben und zusammenkommen können. Unser übliches Weihnachtstreiben besteht darin, daß wir zusammen etwas kochen – mitnichten Weihnachtsgans oder ähnliches „Gutbürgerliches“, sondern eher Reis mit Tofu und Gemüse (fast die ganze Familie ißt vegetarisch, eine Person ist auf glutenfreies Essen angewiesen) – das mit Genuß vertilgen und dann vor einem Krimi versacken. Irgendwann im Lauf der Feiertage gehen wir meistens gemeinsam ins Kino (in 2D, weil die Hälfte der Familie mit 3D nicht zurechtkommt), trinken mit meiner Großmutter Tee, und meistens ist auch eine Wanderung im Pfälzerwald noch dabei. Weihnachtsbaum, Geschenke, Weihnachtslieder singen? Schenken wir uns.

Die einzige „Weihnachts“dekoration, die in meiner Bude steht, sind meine beiden Julböcke aus Stroh (billig beim schwedischen Einrichtungsdiscounter gekauft). Und die sind durchaus heidenkompatibel, denn der Ziegenbock ist Thor heilig ist (dem Mythos nach wird sein Wagen von zwei Ziegenböcken gezogen). Ich bin ja ohnehin auch keine große Dekorateurin.

Und was den kompletten Weihnachtsmythos mit Christkind, Baum, Tannenzweigen etc. angeht – das geht an mir vorbei. Vollkommen. Ich würde es dagegen wahnsinnig vermissen, wenn ich mein Wintersonnenwendfest nicht begehen kann, aber das hat für mich einen anderen Charakter als Weihnachten. Wenn ich einen Adventskalender kaufe, wird der zweckentfremdet und „geht vor“, nämlich exakt so viele Tage, wie zwischen dem 24. und der astronomischen Wintersonnenwende liegen.

Zum anderen mag ich bestimmte Elemente von Weihnachtskultur durchaus. Glühwein (am liebsten selbstgemacht, auf keinen Fall das Fertigzeug aus dem Supermarkt), wärmende Gewürze, Lebkuchen, Kerzenlicht. Ich mag es, wenn ich mich zurückziehen kann vom Vorweihnachtstrubel. Ich mag es, wenn ich mir die frühe Dunkelheit irgendwie schön und kuschelig machen kann; wenn es draußen kalt ist und ich es in meiner Bude warm haben kann.

Die dunkle Zeit im Dezember, die liegt mir trotz allem jedes Jahr auf der Seele. Und deshalb freue ich mich jeden Winter, wenn die Sonne wieder später untergeht und die Tage wieder länger und heller werden.