Esoterik und Esoterikkritik, Teil 4: Welche Kritik trage ich mit?

Letzten Herbst habe ich eine Serie über die Kritik am Esoterischen begonnen und einen vierten Teil versprochen. Besser spät als nie: Hier ist er.

Es sollte aus meinen letzten Teilen klar geworden sein, daß ich mich nicht guten Gewissens klar von „esoterischen“ Dingen abgrenzen kann, da der Begriff „Esoterik“ so schwammig ist und in Deutschland nach Belieben auf jede nicht kanonisierte, formalisierte und organisierte spirituelle/religiöse Praxis angewandt wird – und ich will mich in diesem Punkt einfach nicht ent-solidarisieren mit anderen, die nonstandard spirituality und nonstandard beliefs leben.

Meine spirituelle Praxis ist für mich unverzichtbar und empowernd. Sie hat nichts damit zu tun, kackscheißige Zustände zu zementieren. Ganz im Gegenteil: Sie stützt und ermutigt mich daran, meine nicht-normativen Aspekte zu leben und andere Denkweisen zu finden – sie ist subversiv.

Es sollte klar geworden sein, daß mich am esoterischen Markt etliches nervt und daß diese Szene für mich alles andere als gemütlich ist.

Wie jedoch sieht eine Kritik an Esoterischem aus, die ich mittrage?

„Das ist esoterisch“ an sich reicht für mich als Argument ebenso wenig wie „das geht nicht konform mit dem (konventionellen) naturwissenschaftlichen Weltbild“. „Unwissenschaftlichkeit“ ist nur dann etwas Kritikables, wenn Wissenschaft in der gegebenen Situation tatsächlich das einzige angemessene Paradigma ist. Analoges gilt für „das ist irrational“ – (westlich, weiß, maskulin konstruierte) Rationalität ist nicht immer ein sinnvolles Wertungskriterium.

Esoterik und Esoterikkritik, Teil 3: Was ich tatsächlich zu kritisieren habe.

Nachdem ich im letzten Teil ein Loblied auf die Dinge gesungen habe, die ich an meiner Praxis als empowernd, befreiend und gut empfinde, will ich jetzt die Dinge ansehen, die ich selbst im esoterischen Feld als kritikabel und problematisch empfinde. Darunter ist etliches, was ich selbst nicht mittrage, womit ich aber immer wieder in einen Topf geschmissen werde, weil meine Praxis ja nach wie vor zum „lunatic fringe“ gerechnet wird; was jedoch nicht heißt, daß ich bereit bin, diejenigen Teile meiner Praxis, die als ‚irrational‘, ‚esoterisch‘ oder ‚okkult‘ markiert sind, auszugrenzen, um bürgerlichen Ideen von einer ‚seriösen Religion‘ zu entsprechen.

Die Sache mit dem Kommerz

Esoterik ist ein kommerzialisiertes Feld und zugleich mit einem Tabu behaftet. Das Bild, das im Bewußtsein der Mehrheit davon existiert, ist jenes der kommerzialisierten Esoterik, die Kackscheiße galore (re)produziert und gelegentlich sogar zu destruktiv-manipulatorischen kultartigen Dingen wird.

Esoterik und Esoterikkritik, Teil 1: Definitionsversuche

Im einleitenden Teil dieser Reihe habe ich mir als ersten Teil eine Definition des Gegenstands vorgenommen. Diese Definition – oder ihre Unmöglichkeit – scheint mir nämlich in der Betrachtung von „Esoterik“ wichtig zu sein, und sie git mir auch Hinweise, warum viele meiner spirituell aktiven Freund_innen es ablehnen, ihre jeweiligen Praktiken als „esoterisch“ zu begreifen.

Mein großes Problem mit dem Begriff des Esoterischen ist seine Schwammigkeit; darüber hinaus der pauschalisierende Charakter, der ihm gerne innewohnt.

Genervte Spiritante ist genervt.

Ich hatte ja Mitte Juni einen Artikel in der an_schläge erwähnt, über den ich mich geärgert habe. Dieser Ärger ist nachhaltig geblieben, und die ganze Zeit trug ich den Wunsch mit mir herum, einen Artikel dazu zu schreiben, der sich gewaschen hat. Nun ist das Notizenmachen für diesen Artikel etwas ausgeufert, und es wird eher eine Artikelserie als ein einzelner Artikel.

Ich bin jedenfalls nicht allein mit meinem Ärger:

Zuerst einmal stehen auch feministische Zusammenhänge heute weitgehend in der materialistischen Tradition der Linken: Wenn etwas nach „spiri“ oder „esoterisch“ riecht, dann ist der Verdacht nahe, eins wolle sich auf ein bequemes, erzbiologistisches Bild vom natürlichen Geschlecht, das schon immer da war und mit dem eine nur ins Reine kommen muß, zurückziehen.

Die Esoterik und ich III: Alles kommerzieller Schwachsinn?

Ich hatte im letzten Teil angekündigt, daß ich noch einiges zur Kritik der Esoterik anzumerken hätte. Und auch zur Frage, ob denn die Seminarszene, der Therapie- und Lebenshilfemarkt das ganze Bild sind, wäre noch etwas zu sagen. Spinnennetz mit Tautropfen Bild: Luc Viatour © GFDL / flickr Die Kritik wird nämlich meistens von Leuten vorgebracht, die nur einen Teil des Bildes sehen und manchmal gar nicht mehr sehen wollen, mit einem gewissen Unwillen, die eigene christozentrische Perspektive überhaupt zu reflektieren oder gar temporär abzustreifen. Denn christozentrisch ist sie: von den Gottesvorstellungen, von denen ausgegangen wird, von den unterstellten Motiven und ethischen Wertungen (etwa, daß eine magische Aktivität, die zum Ziel hat, zusätzlich zum „mundanen“ Handeln auf diesem Weg das eigene Leben zu gestalten, als „Manipulation“ beschrieben wird – was klingt da mit, na?) bis zu den Begrifflichkeiten, mit denen man versucht, diese Phänomene zu beschreiben, die aber unter Umständen nur das sind, was Klein Hänschen sich unter New Age vorstellt.1 Da werden dann leicht einmal etwaige problematische Aussagen oder Vorgehensweisen herausgefischt, aus dem Zusammenhang gerissen und damit das ganze Konstrukt der Lächerlichkeit preisgegeben. In ähnlicher Weise wirft man im Extremfall Gläserrücken (übrigens eine Praxis, die ich in der Tat für hochgradig unsicher halte) in einen Topf mit einer hochdifferenzierten Tarotlegung. Da wird gerne Esoterik als Hort des Irrationalen beschrieben und als ebensolches verteufelt, aber ich meine: Die Ausgrenzung des Irrationalen wird es nicht vernichten können, sondern es nur immer neu erzeugen.